In Andor erleben wir, wie der Funke entsteht, der das Feuer der Rebellion entfacht. Die neue Star Wars-Serie ist als Prequel zu Rogue One: A Star Wars Story angelegt, der uns bereits vor sechs Jahren die Schattierungen der Rebellen-Allianz zeigte. Beim Diebstahl der Todesstern-Pläne wurde deutlich, dass in der weit entfernten Galaxis nicht nur Gut und Böse existieren. Stattdessen bewegen sich viele Figuren in einer Grauzone dazwischen – angefangen bei Cassian Andor (Diego Luna), der mit einem präventiven Mord eingeführt wird, bevor er herausfindet, für was er genau kämpft.
Über den Verlauf von zwei Staffeln, die insgesamt fünf Jahre in Cassians Leben abdecken, erzählt Andor, was vor jenem einschneidenden Ereignis passiert ist. Die spannendste neue Figur, die uns Serienschöpfer Tony Gilroy in diesem Zuge vorstellt, ist Syril Karn (Kyle Soller), der als Deputy Inspector für Pre-Mor Authority arbeitet. Das Unternehmen kontrolliert den Morlana-Sektor und erstattet dem Imperium Bericht. Zu Beginn der Handlung existiert – zumindest auf dem Papier – eine Unabhängigkeit. Doch schon bald übernehmen die erbarmungslosen Uniformen des Imperators das Sagen.
Karn ist als Figur von Anfang an mit Unternehmensstrukturen verbunden, wie wir sie eher aus dem Alien-Universum kennen. Vermutlich gibt es bei Pre-Mor keine andere Person, die ihrer Arbeit mit vergleichbarem Ehrgeiz nachgeht. Für Karn ist der Beruf zur Berufung geworden. Ein fehlgeleiteter Idealismus, den er auf bitterste Weise zu spüren bekommt: Ausgerechnet die Mission, bei der er sich endlich gegenüber der Chefetage beweisen kann, endet in einem Desaster und ruiniert seine Karriere. Er ist ein kleines Zahnrad in einem riesigen Getriebe, das problemlos ausgetauscht werden kann.
Sein ganzes Leben hat Karn investiert, um aufzusteigen. Weniger als 24 Stunden braucht sein Niedergang. Karns Bedeutung für das Imperium entpuppt sich als Illusion. Er fällt tief, tiefer als die meisten Star Wars-Figuren, denn er hat keine große Geschichte, die erzählt werden kann. In einer eindrucksvollen Sequenz folgen wir seinem wortwörtlichen Abstieg in die Tiefen Coruscants. Die pulsierende Metropole aus den Prequels ist ein kalter, grauer Ort geworden. Wenn Karn in den Fahrstuhl steigt und das Licht verschwindet, könnte er auch bei den Arbeitern von Metropolis herauskommen.
Fritz Langs expressionistischer Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1927 erzählt von einer Zweiklassengesellschaft, die besonders auf visueller Ebene zum Ausdruck kommt: Während die Reichen in Hochhäusern der Sonne immer näher kommen, verschwinden die Armen in einer unterirdischen Arbeiterstadt, wo sie unterdrückt und ausgebeutet werden. Wenn die Maschinen in Metropolis dampfen, kann man sich leicht vorstellen, dass von diesem dystopischen Ort auch das Feuer der Rebellion ausgeht. Doch Karn wird nicht von aufwühlender Ungerechtigkeit, sondern einer betäubenden Leere empfangen.
Die einzige Person, die in den Schatten des menschenleeren Beton-Labyrinths auf ihn wartet, ist seine Mutter, Eedy Karn (Kathryn Hunter). Trotz Umarmung weicht das vermeintliche Gefühl von Geborgenheit einem weiteren Abhängigkeitsverhältnis: Während Karn mit dem Löffel in seinem Müsli (mit blauer Milch!) herumstochert, zermalmen ihn die Mühlen der Institution Familie genauso wie zuvor das Imperium bei der Übernahme von Pre-Mor Authority. Dennoch ist es erstaunlich, dass bei all den Star Wars-Figuren, die eine Mutter verloren haben, ausgerechnet Syril Karn noch eine hat.
Im Angesicht einer Superwaffe, die mit nur einem Schuss ganze Planeten auslöschen kann, ist es kein Wunder, dass viele Star Wars-Geschichten von der Suche nach einer neuen Heimat und Familie erzählen. Karn hingegen stürzt sich in seine Arbeit, um vor der Familie zu flüchten. Der Verlust dieser Arbeit besiegelt seine größte Niederlage und zwingt ihn zur Heimkehr, weil er abseits von Pre-Mor nichts hat. Das System, dem er sein ganzes Leben verschrieben hat, lässt ihn im Stich. Im stillen Kämmerlein sitzt er nun und mustert frustriert ein Hologram von Cassian – doch was sieht er genau?
Macht er Cassian für alles verantwortlich, das ihm widerfahren ist, und sinnt nach Rache? Womöglich könnte er – angetrieben von Zorn und Verzweiflung – sogar seinen Ruf wiederherstellen, wenn er den Flüchtling doch noch schnappt und den Behörden übergibt. Gleichzeitig könnten das Funkeln in Karns Augen den Moment markieren, an dem er endlich seiner Ohnmacht gegenüber seiner Mutter, Pre-Mor und dem Imperium entkommt. Tiefer kann nicht fallen. Er ist perspektivenlos in der unterirdischen Arbeiterstadt angelangt und hat jeden Grund, sich gegen die repressiven Mächte zu stellen.
Bei keiner anderen Figur in Andor ist es aktuell so spannend, zu beobachten, ob der Funke überspringt oder nicht. Gilroy hat mit Syril Karn einen ambivalenten, komplexen Charakter geschaffen, der zur Schnittstelle sämtlicher Konflikte der Serie wird und zwei wichtige Spiegelfiguren besitzt: Auf der einen Seite befindet sich Cassian, der früher oder später definitiv zur Rebellion stößt, auf der anderen Seite Dedra Meero (Denise Gough), die auf das gleiche Schicksal wie Karn zusteuert – nur eine Etage höher. Als Teil des Imperial Security Bureau wittert sie auch endlich ihre große Chance.
Karn befindet sich zwischen den beiden. Er ist gefangen in einem dunklen Raum, in den nur durch einen Türspalt das Licht hineinfällt. Dieses Bild taucht so direkt in der Serie auf, wenn sich der Deputy Inspector auf Ferrix verbarrikadiert, als er merkt, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Die entscheidende Frage ist, ob er die Kraft aufbringt, die Tür aufzustoßen oder ob er sich weiter in die Dunkelheit zurückzieht, bis er komplett verschwindet. Gilroy hat die Figur dermaßen gut positioniert, dass im Kontext der Serie beide Möglichkeiten Sinn ergeben – und das macht Andor sehr aufregend.
Beitragsbild: Andor © Disney/Lucasfilm
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