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Anna Karenina – Kritik

Anna Karenina will nicht zur Ruhe kommen. Schon die ersten Minuten von Joe Wrights filmischer Adaption des gleichnamigen Romans aus der Feder von Leo Tolstoi sind geprägt von angespannten Blicken und messerscharfen Klingen, die über Leben und Tod entscheiden – Leben und Tod auf der Bühne der Welt. Der Übergang ist fließend, sobald sich der mächtige Vorhang öffnet und dafür sorgt, dass sich die Kamera in einem ewigen Kreis drehen kann, ohne sich jemals im gleichen Winkel dieses geschäftigen Russlands im 19. Jahrhunderts zu verlieren. Unendlich sind die Möglichkeiten, aber auch die Abgründe, versteckt an den Gleisen.

Den ersten Höhepunkt findet diese elektrisierende Inszenierung in einer unglaublichen Tanzsequenz, in der die zentralen Figuren atemlos aufeinandertreffen. Meisterhaft orchestriert Joe Wright dieses Begegnung mit formvollendeten Bewegungen, während sich die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Blicken geradezu aufschlitzen und verzweifelt versuchen, dem sich steigernden Schnitttempo zu entkommen. Schlussendlich sind sie aber alle auf der gleichen Bühne gefangen. Der glänzende Ballsaal vermag sich endlos zu verformen und wird somit zum Gefängnis, zum Labyrinth ohne Ausweg.

Türen öffnen sich, Wände verschieben sich – und dann wäre da noch das Licht, das Wärme verspricht, nach einer minimalen Veränderung des Blickwinkels jedoch ebenso vom kühlen Winter berichtet, während Schneeflocken erhaben auf den hölzernen Boden des Theaters fallen und einen weiteren magischen Moment heraufbeschwören. Selbst ein Wirbelsturm könnte diesen Film nicht in seiner Eleganz erschüttern, nicht zuletzt, da Dario Marianellis mitreißende wie von unsterblichen Gefühlen durchtränkte Filmmusik den stürmischen Bilderreigen endgültig in einen einzigen Tanz verwandelt, der sich komplett in atemberaubenden Drehungen vergisst.

Wie schon in Pride & Prejudice und Atonement schenkt Joe Wright seinem Komponisten überdurchschnittlich viel Vertrauen. Daria Marianellis Kompositionen wirken sich direkt auf die Gestaltung des Films aus, wenn etwa der Takt der Musik die Bewegungen der Bilder diktiert. Erst auf dem Land rückt der Trubel der Stadt in den Hintergrund und die Kulissen verschwinden, um mit der überwältigenden Natur die Größe dieser tragischen Liebesgeschichte(n) zu verdeutlichen. Doch Anna Karenina ist hin- und hergerissen zwischen den zwei (Miniatur-)Welten, die sich im Verlauf des Films offenbaren und so kehrt Joe Wright zurück, auf diese Bühne, die stets von kreisenden Scheinwerfern wie einem hungrigen Publikum beobachtet wird.

Immer wieder blickt sie in das Licht, Keira Knightley, die ihre Anna Karenina zwischen Kontrolle und Leidenschaft zum Leben erweckt. Die Neugier funkelt in ihren Augen, gleichzeitig haben diese Augen schon zu viel gesehen, um sich genauso sorglos zu verlieben wie die von Alicia Vikander verkörperte Kitty. Darauf vorbereitet, wie es sich anfühlt, die Regeln der zaristischen Gesellschaft zu brechen, ist sie trotzdem nicht. Es gibt kein Entkommen von der Bühne, die sich mit jedem Schritt über die vom Schicksal geformten Dielen nur vergrößert. Die Falltüren könnten sich überall verstecken, sodass den Figuren nichts anderes übrig bleibt, als vorsichtig Buchstaben über dem Tisch zu rücken.

Anna Karenina © Universal Pictures