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Burning – Kritik

Der verblüffendste Moment in Burning findet etwa zur Hälfte des Films statt, wenn die Ungewissheit am größten ist und die Sonne untergeht. Jongsu (Yoo Ah-in) sitzt gemeinsam mit Ben (Steven Yeun) und Haemi (Jun Jong-seo) auf seinem ländlichen Grundstück nahe der Grenze von Südkorea zu Nordkorea. Wo auf der einen Seite die Propaganda eines unterdrückenden Regimes mit Lautsprechern ganze Landstriche verpestet, ertönt auf der anderen die schwerelose Musik von Miles Davis, der mit dem Klang seiner Trompete alle Mauern zum Einsturz bringt. Drei Fremde vereint in der Einsamkeit des Ortes, von Freundschaft kann trotzdem keine Rede sein. Stattdessen schlummern eine tragische Sehnsucht und gefährlicher Hunger in den Körpern der durch eine Verkettung unerwarteter Ereignisse zusammengekommenen Menschen, die sich schon bald nie wieder in dieser Konstellation begegnen sollen. Der Himmel verfärbt sich, während Lee Chang-Dongs Kamera einer hypnotisierenden Bewegung folgt, die schließlich in einem Tanz von Freiheit endet, wie er in dieser Welt gar nicht existieren dürfte.

Basierend auf Haruki Murakamis Kurzgeschichte Barn Burning aus dem Jahr 1983, die zehn Jahre später auch als Teil der Geschichtensammlung The Elephant Vanishes veröffentlicht wurde, entwirft Lee Chang-Dongs das niederschmetternde Porträt eines geteilten Landes, in dem Unsicherheit und Bedrohung hinter jeder Straßenecke lauern, während eine junge Generation von Menschen in dieses Labyrinth hineingezogen werden und sich darin verirren, weil sie sich selbst nicht über den Weg trauen. Sie haben vergessen, wer sie sind, und erzählen deshalb von einer Welt, die womöglich gar nicht existiert. Als Jongsu in der aufmerksam beobachtenden Eröffnungssequenz von Burning nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder auf Haemi trifft, erkennt er sie nicht wieder. Eine Schönheitsoperation dient als willkommene Ausrede, um verdrängte Erinnerungen aneinander zu entschuldigen, immerhin war das einzige Wort, das Jongsu zuvor jemals mit Haemi gewechselt hatte, eine Beleidigung. Jetzt hat sich alles verändert – doch ist diese Behauptung wirklich wahr?

Lee Chang-Dong eröffnet im Rahmen seiner zweieinhalbstündigen Erzählung viele Geheimnisse, die nie endgültig geklärt werden, dennoch aber eine verschlingende Faszination ausstrahlen. Spätestens, wenn Ben mit Haemi als unerwarteter Gast von einer Reise nach Afrika zurückkehrt, verbiegen sich die Realitätsebenen dieses Films. Der Neuankömmling avanciert zur unantastbaren, unheimliche Kraft, die in Jongsus Welt eindringt und die Beziehung, die er sich mit Haemi aufgebaut hat, mit großzügigen Gesten und vermeintlicher Selbstlosigkeit infiltriert. Steven Yeun verkörpert diesen Zerstörer mit einer charmanten wie unangenehmen Eleganz. Einladend bewegt er sich auf sein Gegenüber zu, während er mit jeder lässigen Bewegung heimlich auch eine Drohung ausspricht, ehe er unberechenbare Abgründe offenbart, die Jongsu um den Schlaf bringen. Fortan hastet er durch die Nachbarschaft auf der Suche nach einem Beweis, der den beunruhigenden Erlebnissen der vergangenen Tage etwas Wahrhaftiges zuspricht. Ben, das ultimative Geheimnis, kann er jedoch nicht entschlüsseln.

Eine Bestätigung für all die unheilvollen Vermutungen, die sich in Jongsus Kopf und somit auch den Köpfen der Zuschauer formen, liefert Burning zu keinem Zeitpunkt. Stattdessen versteht sich Lee Chang-Dong in der Poesie der Dämmerung. Die Farben es Horizonts vermischen sich genauso wie Jongsus Entdeckungen zwischen Einbildung und Realität. Ein Albtraum, der dem Titel des Film in apokalyptischen Bildern am ehesten gerecht wird, besiegelt das Misstrauen, bis das strahlende Blau des Himmels im blutroten Sonnenuntergang verschwindet. Eine böse, finstere Macht übernimmt den Film, der vordergründig in Form eines Mystery-Thrillers vom rätselhaften Verschwinden einer Person berichtet, während im Hintergrund die soziale Isolation in einer Welt diskutiert wird, in dem jeglicher Sinn für Gemeinschaft verloren gegangen ist. Niemand hat hier echte Freunde, die zuhören und verstehen. Selbst am anderen Ende des Telefons ist die meiste Zeit über nur Stille zu vernehmen, die unerträglicher kaum sein könnte.

Stille, die teilt. Stille, die entfremdet. Von Miles Davis’ virtuosen Trompetenklängen ist in der zweiten Hälfte von Burning kaum noch etwas zu vernehmen. Stattdessen breitet sich ein dissonantes Pochen aus, begleitet von dem Geräusch reißender Saiten, die einer Erschütterung gleichkommen. Plötzlich ist die Spannung unerträglich: So langsam sich Burning entfaltet, so einnehmend gestalten sich die Bilder, die in einem atemlosen Finale münden. Hektik und Überstürzung finden trotzdem keinen Weg in Lee Chang-dongs Film, der im Zuge seines Höhepunkt mit verheerenden Konsequenzen die Verwirklichung zuvor angedeuteter, mitunter sogar ausgesprochener Fantasien ausprobiert. Jongsu, der nach William Faulkners Vorbild eigentlich selbst Geschichten schreiben will, wird schließlich von seiner eigenen in eine Sackgasse gedrängt, ohne es zu merken. Durch eine dicke Folie blickt er in das Innere eines heruntergekommenen Gewächshauses, in der Hoffnung, Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die ihn beschäftigen. Sobald er die Folie anhebt, ist er befreit wie verloren. Was bleib, ist das Zwielicht. 

Burning © Capelight Pictures