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Carol – Kritik

Schönheit. Vollkommene Schönheit. Jeder einzelner Frame in Carol ist ein sorgfältiges Kunstwerk, voller Ehrfurcht vor dem Augenblick. Erhaben und elegant reiht Regisseur Todd Haynes 16mm-Aufnahmen aneinander, als wären sie nie für etwas anderes bestimmt gewesen. Entscheidend dabei ist, dass er seinen Film dermaßen behutsam zusammensetzt, dass nie der Eindruck von Kontrolle, geschweige denn konstruierter Perfektion entsteht. Nein, jedes Bild in Carol atmet, entwickelt seine eigene Sprache und ist dabei so zerbrechlich, das bereits ein einziger Wimpernschlag alles zum Einsturz bringen könnte.

Unheimlich komplex ist diese Welt, stets bestrebt, sich an einen gleichermaßen grauenvollen wie unschuldigen Ort in den 1950er Jahren zurückzuziehen. Dennoch verschwimmt sie in jeder neuen Einstellung in zeitloser Ewigkeit. Es entsteht ein intimer Reigen aus Farben und Formen, die verblassen und zunehmen, manchmal sogar komplett im körnigen Rauschen auf der großen Leinwand verschwimmen. Dann sind es vereinzelte Lichtpunkte, die der Dämmerung entgegen setzen und vereinzelte Regentropfen auf der kalten Glasscheibe eines Wagens in durchdringende Leuchtkörper verwandeln.

Jeder Moment verbirgt eine unbeschreibliche Intimität, die erst nach und nach zum Vorschein kommt. Ganz schüchtern geraten Personen und Dinge vom Vordergrund in den Hintergrund und umgekehrt. Ein beiläufiger Wechsel, der alles verändert: Gleich in den ersten Minuten marschiert ein Mann im feinen Ambiente auf den Tresen zu, um sich das Übliche zu bestellen. Die Kamera verfolgt ihn aufmerksam, entschleunigt aber unterbewusst seinen entschlossenen Gang, um die Umgebung zum Leben zu erwecken. In dieser Umgebung sitzen Menschen, essen, reden und trinken, so auch Carol Aird (Cate Blanchett) und Therese Belivet (Rooney Mara). Nahezu unscheinbar, als wären sie nur Statisten in ihrer eigenen Geschichte.

Doch dann wird der Mann, der zuvor die Szene betrat, auf ein bekanntes Gesicht aufmerksam und verblasst wenige Sekunden darauf im Tausch der Ebenen. Zögerliche Worte und Blicke werden getauscht, dann folgt die Erinnerung – übergeben durch Hände, die später immer wieder ihren Weg ins Bild finden werden. Ein unabsichtliches Streifen, eine bewusste Berührung – auch für Nebensächlichkeiten interessiert sich Todd Haynes, sodass selbst das Ausziehen von Handschuhen oder das Anzünden einer Zigarette zum unvergesslichen Ereignis wird.

Dann fällt Schnee und legt sich wie eine schwere Decke über das aufwühlende Durcheinander. Stille. Unfassbare Stille. Präzise wie verträumt fängt Todd Haynes die Unaussprechlichkeit dieser Ohnmacht ein. Sein Film konzentriert sich auf das Wesentliche, nämlich die Menschen von denen er erzählt. Egal, wie detailverliebt ein Raum gestaltet sein mag oder die Kulisse der trüben Großstadt das emotionale Beben der Geschehnisse sekundiert: Am Ende findet die Kamera mit poetischer Bewegung in die Gesichter der Schauspieler_innen zurück, die meist von ungeheuerlichem Ausdruck sind.

Alleine die Blickwechsel zwischen Cate Blanchett und Rooney Mara überwältigen. Es ist unmöglich sich ihnen zu entziehen – genauso wie der aufwirbelnden Musik aus der Feder von Carter Burwell, der sich bewusst in den unendlichen Weiten der verborgenen Gefühlswelt der Figuren verliert und dadurch jenen Gedanken aufrichtiges Gehör verleiht, die nicht einmal in der Unendlichkeit der wundervollen Momentaufnahmen ihren Weg an die Oberfläche finden. Vieles in Carol spielt sich also im Verborgenen ab. Und genau das ist Stärke, Faszination und Geheimnis des Films.

Wie Todd Haynes zuletzt in seiner extraordinären Bob Dylan-Annäherung I’m Not There eindrucksvoll unter Beweis stellte, ist er ein Meister darin, das Abstrakte bzw. Unbegreifliche mit der Illusion von Vertrauen und Geborgenheit kollidieren zu lassen. Was dabei heraus kommt, raubt einem den Atem und avanciert zur eingangs beschrieben Schönheit, wie sie nur selten ihren Weg ins Kino findet. Wenn sie jedoch erst einmal dort angekommen ist, gibt es kein Zurück mehr.

Carol © DCM Filmverleih