Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

C’mon C’mon – Kritik

Johnny (Joaquin Phoenix) reist durch die USA, um Jugendliche nach ihren Gedanken über die Zukunft zu befragen. Der Radiojournalist will ihre Hoffnungen, Wünsche und Sorgen erfahren. Auf ganz natürliche Weise nähert er sich den jungen Menschen an, die einen völlig anderen Erfahrungsschatz und damit eine besondere Perspektive mitbringen. Trotz Mikrofon vor der Nase gelingt es Johnny, innerhalb kürzester Zeit eine Vertrauensbasis aufzubauen, egal ob er sich gerade in Chicago, Detroit oder seiner Heimat New York befindet. Nur bei seinem Neffen, Jesse (Woody Norman), scheitert er.

Von seiner Schwester, Viv (Gaby Hoffmann), wird Johnny gebeten, auf den neunjährigen Jungen in Los Angeles aufzupassen, während sie sich um ihren Ehemann, Paul (Scoot McNairy), kümmert, der unter einer bipolaren Störung leidet. Johnny willigt ein, obwohl das Verhältnis zu Vic und ihrem Sohn ein entfremdetes ist. Nach 20th Century Women widmet sich Regisseur Mike Mills mit C’mon C’mon erneut der Begegnung unterschiedlicher Generationen, die sich auf mikroskopischer Ebene vor unseren Augen entfaltet und gleichzeitig von ganz vielen anderen Stimmen umgeben ist.

In 20th Century integrierte Mills fremdes Bild- und Tonmaterial, um ein Gefühl für die Welt seiner Figuren zu schaffen. Mitunter verwandelte sich der Film dadurch in einen mitreißenden Gedankenstrom. In C’mon C’mon sorgen die Audioaufnahmen der Jugendlichen, die Mills in unregelmäßigen Abständen einstreut, für neue Impulse. Sie reflektieren das gegenwärtige Zeitgeschehen und bilden den Rahmen eines Film, der den Fluss der Dinge im Titel trägt. Es geht immer weiter – und dennoch gelingt es Mills in seinem zärtlichen Drama, die Bewegung für einen Augenblick zu unterbrechen.

Das Aufeinandertreffen von Johnny und Jesse ist eine Ausnahmesituation, die alle Regeln außer Kraft setzt und einen Zwischenraum eröffnet, der unter gewöhnlichen Umständen nicht möglich wäre. Selbst Amerikas Metropolen, die von Robbie Ryan in wunderschönen, nachdenklichen Schwarz-Weiß-Bildern eingefangen werden, wirken die meiste Zeit über ungewohnt ruhig. Durch Johnnys Aufnahmegerät lässt uns Mills in entspannte Klangkulissen voller Neugier eintauchen, ehe uns die behutsame Musik von Aaron und Bryce Dessner auf dem Spaziergang durch die urbanen Landschaften begleitet.

Verlusterfahrungen haben tiefe Wunden bei den Figuren von C’mon C’mon hinterlassen. Sowohl Johnny als auch Jesse mangelt es an Vertrauen – in sich selbst und andere. Schlussendlich gelingt Mills mit seinem Film aber das gleiche Kunststück, das Johnny jeden Tag bei seinen Interviews vollbringt: Er schafft einen Raum ohne Vorurteile, in dem Worte offen ausgesprochen – und noch viel wichtiger – festgehalten werden können. Obwohl das Leben weitergeht, bleibt in dem einfühlsam erzählten C’mon C’mon die Zeit kurz stehen, um Verletzlichkeit zu erkennen und zu akzeptieren.

Beitragsbild: C’mon C’mon © DCM