Mit einem Schrei aus tiefster Seele verabschiedete sich Jesse Pinkman (Aaron Paul) aus der letzten Staffel von Breaking Bad, als er im Finale in die Nacht raste, um jenen Ort so schnell wie möglich hinter sich zurückzulassen, an dem er zuvor Höllenqualen erleiden musste. Sechs Jahre nach dem Ende der Serie hallt dieser Schrei immer noch nach und bündelt all die angestauten Emotionen der vorhergegangenen fünf Staffeln. Ein kathartischer Moment, der seine Stärke nicht zuletzt aus der nachfolgenden Ungewissheit zog, wenn Jesse in der Dunkelheit verschwindet, ohne dass wir genau wissen, wie es ihm nach dem finalen Paukenschlag ergeht.
Mit El Camino: A Breaking Bad Movie kehrt Serienschöpfer Vince Gilligan nun jedoch zurück, in jene schicksalhafte Nacht, um Jesses Geschichte in Form einer nachdenklichen Coda ausklingen zu lassen. Der abendfüllende Spielfilm schließt unmittelbar an das Ende der Serie an und dringt mittels Flashbacks zusätzlich in die Vergangenheit ein, um das Trauma seines Protagonisten zu ergründen, der noch lange keine Erlösung gefunden hat, sondern durch die Wüste eines dreckigen Western flüchtet. Verwegene Gestalten und nur wenige Freunde säumen seinen Pfad, während ein bedrohlicher Schatten die mit Suspense aufgeladenen Cinemascope-Bilder trotz ihrer Breite in ewiger Finsternis zu ersticken droht.
Vince Gilligan, der nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch Regie führte, hat mit El Camino: A Breaking Bad Movie einen düsteren Film geschaffen, der es sich zur Hauptaufgabe macht, mit jeder einzelnen Einstellung Jesses Einsamkeit und Verlorenheit zum Ausdruck zu bringen. Alle anderen Ereignisse ziehen geradezu beiläufig an ihm vorbei. Selbst dann, wenn die Inszenierung einzelner Passagen – wie schon in der Serie – einer ganz spezifischen Idee folgt und damit einen höchst stilisierten Rahmen vorgeben, vermag keiner der verspielten Einfälle Jesses Narben zu verdecken. Am liebsten würde die Kamera die gesamte Zeit über in Aaron Pauls verschrammtes Gesicht blicken.
Hier versteckt er sich, dieser unfassbare Schmerz, der sich nicht einmal mehr mit Schreien ausdrücken lässt. Im Endeffekt hätte El Camino: A Breaking Bad Movie auch als Montage direkt in die letzten Breaking Bad-Episode einfließen und die gesamte Geschichte in wenigen Minuten abschließen können. Spätestens seit Better Call Saul hat sich Vince Gilligan aber als aufmerksamer wie gelassener Erzähler hervorgetan, der es versteht, die zusätzliche Zeit mit seinen Figuren auf befriedigende, berührende, teils sogar verblüffende Weise zu nutzen. So avancierte der Ableger rund um Anwalt Saul Goodman (Bob Odenkirk) dank präziser Beobachtungen zur meisterhaften Charakterstudie.
Von einer solch nuancierten Höchstleistung ist El Camino: A Breaking Bad Movie zwar weit entfernt, doch irgendwie ist er trotzdem faszinierend, dieser Versuch, den letzten Jesse Pinkman-Moment auf mikroskopischer Ebene – also einem zweistündigen Spielfilm – zu observieren. Vince Gilligan geht es weniger darum, der Figur neue Facetten hinzuzufügen, als den Fokus komplett auf den zerbrechlichen Jetztzustand zu richten. So fällt die tatsächliche Handlung deutlich umspektakulärer aus, als man bei der Geheimniskrämerei im Voraus hätte erahnen können. Stattdessen setzt sich El Camino: A Breaking Bad Movie aus sorgfältig geschriebenen Begegnungen zusammen und klingt aufgrund der tiefschürfenden Tragik nach.
Und dann ist da Aaron Paul, der seinen Jesse Pinkman noch einmal mit aller Hingabe zum Leben erweckt. Sein Schauspiel lässt die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Figur greifbar werden, besonders im Zusammenspiel mit Robert Forster, der als Ed Galbraith aka The Disappearer in seiner letzten Filmrolle zurückkehrt. Plötzlich vereinen sich Geborgenheit und Härte in einem Film, der sich als Meditation über die Folgen des Leids versteht. Helden gibt es hier keine mehr, wenn es sie denn je in dieser Geschichte gegeben hat. Vielmehr entfaltet sich das Trauma als Geduldsprobe, denn Jesse Pinkman hat nichts mehr zu verlieren, obwohl für ihn alles auf dem Spiel steht.
El Camino: A Breaking Bad Movie © Netflix
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