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Ghost in the Shell – Kritik

Es ist laut, schnell und kracht: Vieles passiert in Ghost in the Shell, ehe das erste Mal komplette Ruhe einkehrt. Die Live-Action-Adaption des gleichnamigen Mangas aus der Feder von Masamune Shirow, der bereits 1995 von Mamoru Oshii in Form eines Anime erfolgreich fürs Kino adaptiert wurde, erzählt eine transzendente Geschichte über Körper und Geist im Zusammenspiel mit den technologischen Errungenschaften einer nahen Zukunft. In der Welt von Ghost in the Shell ist vom echten Mensch aus Fleisch und Blut nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen ergänzen künstliche Bestandteile das rohe, zerbrechliche, fehlerhafte Wesen, das sich immer mehr in einen Cyborg verwandelt, bis zum Schluss bloß noch ein Gehirn von Nöten ist, um die – in der sogenannten Shelling Sequence spektakulär geformte – Hülle mit Leben zu füllen.

Fortan herrscht die ultimative Vernetzung und Grenzen verschwinden, die einst unüberwindbar waren. Was folgt, ist ein unbändiger Rausch an Datenströmen, die gleichermaßen Wahrheiten wie Unwahrheiten übermitteln. Täuschung und Wirklichkeit sind kaum noch auseinanderzuhalten. Alleine der urbane Raum mutiert zu einem Labyrinth der Ungewissheit, in dem echte Wände von dreidimensionalen Hologrammprojektionen kaum noch zu unterschieden sind. Und dennoch passiert es schließlich, dass sich Major (Scarlett Johansson) in einen Abgrund stürzt, den all diese Informationen nicht erreichen. Am Grund des Flusses, dem letzten Ort der Wildnis, mag es zwar kalt und dunkel sein. Gleichzeitig herrscht dort eine unbeschreibliche Ruhe, wie sie ansonsten nicht mehr zu greifen ist in dieser dystopischen Zukunftsvision.

Major befindet sich in Ghost in the Shell vor mehreren Parteien auf der Flucht. Auf der einen Seite wäre da das große Unternehmen Hanka Robotics, dem nicht getraut werden kann. Auf der anderen Seite – und das ist der wahre Kern dieser Geschichte – flieht Major vor sich selbst oder besser: vor dem, in das sie sich transformiert hat respektive in das sie transformiert wurde. Ihr Geist genießt zwar die geradezu unerschöpflichen Möglichkeiten eines formbaren Körpers, der selbst eins mit seiner Umgebung werden kann. Doch was passiert, wenn bereits dieser Geist korrumpiert ist und in einem Areal gefangen ist, das längst nichts mehr mit dem Wahrhaftigen zu tun hat? Mit jeder Minute, die in Ghost in the Shell vergeht, wächst also ein Bewusstsein für die eigene Existenz – besonders dann, wenn sich Körper und Geist in den Untiefen des Flussbetts im Gleichklang mit einer Handvoll Quallen trieben lassen.

Wo eben noch Majors unzerstörbare Hülle über den Grund gleitete, schieben sich im nächsten Augenblick die fast komplett durchsichtigen Nesseltiere durchs Bild und schaffen eine gigantische Kluft der Wahrnehmung. Ohne jegliches Upgrade haben sie die Zeit überdauert und wirken in ihrem Treiben um einiges entschlossener als Major, die ihr Innerstes erst erkennen und vor allem akzeptieren muss. Rupert Sanders, der als Regisseur zuvor den Fantasy-Blockbuster Snow White and the Huntsman mit Kristen Stewart umgesetzt hat, nähert sich mit einem bemerkenswerten Gespür für den Moment den existenzphilosophischen Gedankengängen der Vorlage an und verlässt sich dabei in erster Linie auf feine Impulse, die sich dynamisch mit dem Rest der Geschichte verbünden. Ghost in the Shell wird von einer faszinierenden Melancholie und Sehnsucht begleitet, die auf den ersten Blick überhaupt nicht in einen hochbudgierten Science-Fiction-Action-Film wie diesen gehören.

Vielleicht liegt darin aber die große Stärke der Neuverfilmung verborgen, die sich zudem ihres Ursprungs überaus bewusst ist. Rupert Sanders hat in seiner Inszenierung einen ausgesprochen guten Weg gefunden, um die – aus dem Anime – vertrauten Bewegungen in den Realfilm zu übersetzen. Gleichzeitig fühlt sich Ghost in the Shell nicht wie pure Replikation an – vielmehr verbirgt sich hier die gleiche Kraft, mit der es Paul W.S. Anderson in seinen späteren Resident Evil-Adaptionen gelungen ist, die Dynamik und Mechanik eines Videospiels auf die große Leinwand zu übertragen. Erhaben sind die beschleunigten sowie entschleunigten Aufnahmen, die sich im prächtigen Produktionsdesign verlieren, das selbst zu einem eigenen Charakter avanciert. Versatzstücke des jetzigen Hongkongs vereinen sich mit einer florierenden Cyberpunk-Welt, die in ihrer Künstlichkeit Majors Körper spiegelt und dennoch nass und dreckig werden kann.

Es ist also gar nicht so einfach, die einzelnen Bestandteile von Ghost in the Shell exakt einzuordnen, weil sich der Film einer einfachen Einteilung in Schubladen entzieht. Stattdessen versteckt sich im Drehbuch von Jamie Moss, William Wheeler und Ehren Kruger ein deutliches Plädoyer für aufgehobene Grenzen und den Willen zur Auseinandersetzung mit dem, was sich hinter der Oberfläche verbirgt. Noch mehr als im Manga oder Anime stechen in der Live-Action-Adaption die Körper hervor – anno 2017 selbstverständlich auch in – mitunter überwältigendem – 3D. Doch gerade dieser Umstand kommt Ghost in the Shell in seiner auf sämtlichen Ebenen parabelförmigen Erzählung zu Gute und zeigt, wie schwer es ist, den unscheinbaren, womöglich sogar verdrängten Kern von etwas oder einer Person zu entdecken, ohne sich dabei in äußerlichen Kategorisierungen festzufahren. Dann kann der Major genauso eine amerikanische Frau wie ein japanisches Mädchen sein.

In diesem Punkt übertrifft Ghost in the Shell wohl jegliche Erwartungen, denn zu leicht lässt sich dieser ambitionierte, neue Entwurf einer zum Kult gewordenen Geschichte verurteilen. Doch Rupert Sanders‘ Vision ist nicht bloß reich an visueller Überwältigung, sondern ebenso interessiert an der Auseinandersetzung mit ihrer Protagonistin, die sich dann nicht wie zuvor angenommen auf der Flucht befindet, sondern auf der Suche nach jener wahren Identität, die sich über alle greifbaren Formen hinwegsetzt. In dieser Hinsicht offenbart sich Ghost in the Shell als aufregende wie geistreiche Odyssee, die durch die schwindelerregenden Häuserschluchten und düsteren Abgründe einer pulsierenden Metropole führt, fußend auf einem Fundament aus gewaltigen Kabeln und schwerelosen Glitches.

Ghost in the Shell © Paramount Pictures