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Hotel by the River – Kritik

Nach über zwei Dekaden, in denen Hong Sang-soo das Weltkino mit seinem Schaffen bereichert, gab es keine Phase, die so produktiv war wie die letzten zwei Jahre. Fünf Filme hat der südkoreanische Regisseur und Drehbuchautor gedreht und auf diversen Festivals gezeigt. Wenngleich Hong Sang-soo schon zuvor im jährlichen Rhythmus neue Werke in die Kinos brachte, ist sein aktueller Output ein bemerkenswerter. Offenbar hat er momentan viel zu sagen, obgleich sich seine Filme nur in minimaler Variation unterschieden. Doch genau hier liegt seine Kunst verborgen: Hong Sang-soo will, dass wir genau hinschauen und selbst bei sich vermeintlich wiederholenden Geschichten den feinen, entscheidenden Unterschied erkennen, der womöglich alles verändert, wie es zuletzt am deutlichsten in Right Now, Wrong Then herausarbeitet. Auch Hotel by the River wartet mit vielen vertrauten Elementen auf, bereichert sein Œuvre aber gleichzeitig mit einmaliger Poesie.

In einem Hotel mit Blick auf den Fluss spielt sich die Geschichte ab. So schlicht und präzise wie der Titel den Schauplatz vorwegnimmt, gestaltet sich das nachfolgende Geschehen, das sich ausschließlich auf eine Handvoll Figuren konzentriert. Zuerst wäre da der berühmte Dichter Young-wan (Ki Joo-bong), der durch Zufall den Hotelmanager kennengelernt hat und seitdem in einem der vielen Zimmer residiert. Zu seinen Söhnen, Kyung-soo (Kwon Haeh-yo) und Byung-soo (Yu Jun-sang), pflegt er ein zerrüttetes Verhältnis. Entfremdet ist die Familie, in der die Frauen anscheinend tiefe Wunden hinterlassen haben, wie sich später im Rahmen eines holprigen Wiedersehens herausstellt. Schüchtern gegenüber Frauen ist Young-wan jedoch keineswegs: Kaum trifft er auf Sang-hee (Kim Min-hee), die sich frisch von ihrem Freund getrennt hat, und ihre beste Freundin Yeon-ju (Song Seon-mi), platzen die unbeholfenen Komplimente aus ihm heraus. Engel will der Dichter in der Schneelandschaft gesehen haben.

Im Verlauf der nachfolgenden 90 Minuten treffen diese fünf Figuren in unterschiedlichen Konstellationen aufeinander, während nebenbei der große Schmerz verhandelt wird, den sich die Protagonisten nur bedingt eingestehen wollen. Viel zu oft lenkt einer der Gesprächsteilnehmer von den gewichtigen Themen ab, wenn er nicht sogar komplett aus dem Film verschwindet und erst nach einiger Zeit wieder auftaucht, als wäre nichts gewesen. Herrlichen Humor findet Hong Sang-soo nach wie vor im Elend seiner Protagonisten. Hotel by the River bietet ihm außerdem eine weitere Möglichkeit, seine eigene Persona in den Film zu projizieren. Wenn von einem unentschlossenen Auteur die Rede ist, reflektiert er fraglos die eigene Vita, was generell ein wiederkehrender Bestandteil seiner Filme ist, jedoch in jüngster Vergangenheit deutlich intensiviert wurde. Schonungslos bis verspielt zieht Hong Sang-soo mit sich selbst und seinen Figuren ins Gericht, schlussendlich überwiegt aber eine unheimliche Tragik.

Die Männer, die entlarvt werden, ehe sie aus ihren Machtpositionen heraus überhaupt protzen können, lässt Hong Sang-soo geradezu verloren im Schneetreiben stehen. Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Ausreden werden munter ausgetauscht, doch so richtig will die Wahrheit von keinem ausgesprochen werden. Erst beim Essen und einer sich rasch steigernden Anzahl ausgetrunkener Soju-Flaschen pulsieren die Gefühle dermaßen, dass sie selbst am Nebentisch nicht mehr verkannt werden können. Trotzdem regiert eine gewisse Unfähigkeit, über den eigenen Schatten zu springen, da sich der heimliche Fluchtversuch gleich mehrmals als willkommene Alternative erweist. Zum Ende schlägt Hong Sang-soo nach all dem Hin und Her zwischen Hotel und Restaurant jedoch einen ungewohnt harten Tonfall an, der Anfang des Jahres auch in seinem Berlinale-Beitrag Grass für unangenehme Schläge mitten in die Magengrube verantwortlich war.

So leichtfüßig Hong Sang-soo für gewöhnlich durch seine Filme marschiert, so niederschmetternd können sie enden. Zwar findet das Resultat der Tragödie im Fall von Hotel by the River jenseits des Bildes statt, doch genau an diesem Punkt sind wir als Zuschauer wieder aufgefordert, genau hinzuschauen. Durch einen Zoom und die Geräuschkulissen lässt uns Hong Sang-soo mehr über die Scherben am Boden wissen, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Jeder seiner Filme bringt uns einen Schritt näher an den Moment des Zerbrechens. Hotel by the River findet zudem eine klare Sprache und verabschiedet sich damit von den kryptische Andeutungen früherer Filme. Gefördert wird dieser Durchblick besonders von den schwarz-weißen Aufnahmen, die in der stillen Unendlichkeit einer fallenden Schneeflocke sämtliche Emotionen der aufgewühlten Figuren entdecken. Wenn der Schnee schmilzt, kommen selbst die unter der dicken Decke verborgenen Wunden zum Vorschein und werden wieder aufgerissen.

Hotel by the River © Finecut