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I Care a Lot – Kritik

Marla Grayson (Rosamund Pike) kümmert sich um alte Menschen, besonders um die, die über ein großes Vermögen verfügen. Vor Gericht lässt sie sich pflichtbewusst zum Vormund der Senior*innen in Not ernennen. In den meisten Fällen ist diese Not jedoch nur eine ausgedachte Lüge, denn so erhält Marla die Kontrolle über das Leben der Menschen, die sie betreut – sprich: in einem Altenheim unterbringt, aus dem es kein Entkommen gibt. Danach beginnt sie, sich der Hinterlassenschaften zu bemächtigen.

Unverhohlen schildert die Protagonistin von I Care a Lot ihre fiese Routine, während sie in Zeitlupe siegessicher in strahlenden Farben durch die klinisch weißen Gänge der Gefängnisse spaziert, in denen sie ihre Klient*innen mit vermeintlicher Fürsorglichkeit unterbringt. Es gibt Löwen und Lämmer, verrät die Betrügerin. Noch bevor sie es bestätigt, ist klar, welcher Sorte Marla angehört. Sie hat sich dazu entschieden, zu gewinnen – und ist extrem gut darin. Nicht zuletzt hat sie das Gesetz auf ihrer Seite.

I Care a Lot beginnt sehr rasant. Regisseur und Drehbuchautor J. Blakeson denkt – genauso wie Marla – keineswegs auf die Bremse zu drücken. Sein Thriller ist nicht nur extrem stylish, sondern ebenso temporeich inszeniert. Selbst dann, wenn deutlich wird, dass sich Marla bei ihrem jüngsten Schlachtplan gewaltig verkalkuliert hat, stagniert der Film nicht, im Gegenteil: Sobald die Lage brenzlig wird, legt Blakeson erst richtig los und überrascht mit einer Reihe fieser und äußert unterhaltsamer Wendungen.

Der wahre Antrieb des Films ist allerdings nich das Drehbuch, sondern die Musik. Komponist Marc Canham setzt auf flotte Rhythmen, die sich ganz der Vorwärtsbewegung von Marlas Entschlossenheit verschrieben haben. Nicht einmal ihr Stolpern kann den Film ins Wanken bringen, so sicher wird er von der Musik transportiert. Fast zu flüssig geht ein Ereignis in das andere über. Blakeson versteht I Care a Lot als eine große Montage. Dennoch finden sich einige widerspenstige Elemente in der Geschichte wieder.

Dazu gehört in erster Linie die Heldin. Es ist leicht, sich von Marlas Selbstbestimmung mitreißen zu lassen. Umso erschreckender ist der Moment, an dem man merkt, wo das alles hinführt. In Marlas beneidenswerter Coolness versteckt sich eine unheimliche Grausamkeit. Sie ist die Heldin und Bösewichtin des Films in einer Person vereint. Blakeson provoziert diese Wahrnehmung bewusst und lässt sogar Gangsterboss Roman Lunyov (Peter Dinklage) sympathischer wirken als die schonungslose Betrügerin.

In einem Film voller Machtfragen und Besitzansprüche sind die spannendsten Augenblicke die, in denen sogar Blakeson als Filmemacher die Kontrolle über seine Protagonistin verliert. Lange Zeit beobachtet er Marla auf Schritt und Tritt, doch irgendwann nimmt die Figur eine bemerkenswerte Eigendynamik an. Das liegt vor allem an der stark aufspielenden Rosamund Pike, die mit ihren präzisen Blicken und Bewegungen sehr schön an ihre ähnlich unberechenbare Amy Dunne aus David Finchers abgründigem Gone Girl anschließt.

Beitragsbild: I Care a Lot © Netflix