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Lady Bird – Kritik

Sie war Frances Ha und Mistress America – vor allem aber sie die in New York: Greta Gerwig. Unter der Regie von Noah Baumbach irrte sie durch die unendlichen Straßenzüge jener Metropole, mit der so viele verschiedene Assoziationen einhergehen. Für Lady Bird, den ersten Film, den sie nach ihrer Zusammenarbeit Nights and Weekends mit Mumblecore-Kollege Joe Swanberg komplett alleine als Drehbuchautorin und Regisseurin umgesetzt hat, ist sie dennoch in ihre Heimat zurückgekehrt und hat somit das beschauliche Sacramento zum Ort des Geschehens auserkoren. Hier lebt die 17-jährige Christine McPherson (Saoirse Ronan), die lieber Lady Bird genannt werden möchte und von den unbegrenzten Möglichkeiten der Großstadt träumt. „I wanna go where culture is“, jammert sie gegenüber ihrer Mutter Marion (Laurie Metcalf) bei einer gemeinsamen Autofahrt, ehe sie sich als Zeichen der Demonstration aus dem Auto wirft und einmal mehr beweist, dass sie ihr eigener Kopf ist. Doch genau dieser entschlossene Eigensinn ist es, der Lady Bird zu einem der wundervollsten Coming-of-Age-Filme vergangener Jahre macht.

Christine will sich von niemandem etwas sagen lassen, erst recht nicht von ihrer Mutter, die sich vorwiegend sowieso nur für den finanziellen Haushalt zu interessieren scheint. Jeder Cent wir zwei Mal umgedreht, damit das Geld bis zum Ende des Monats reicht. Ein Studium auf einer hoch angesehen Universität wie etwa der New York University kommt daher für sie nicht infrage, weshalb sich Christine immer wieder gezwungen sieht, gegen ihre Mutter zu arbeiten. Larry (Tracy Letts), Christines Vater und Marions Ehemann, versucht zwar, die Wogen zu glätten, kann mit seiner versöhnenden Kraft die angespannte Familienrealität jedoch nicht gänzlich außer Kraft setzen, sondern höchstens verzögern, sodass die Eskalation zu einem späteren, möglicherweise günstigeren Zeitpunkt erfolgt. Christine plagt sich derweil mit ihrer besten Freundin Julie (Beanie Feldstein) durch den Alltag ihrer streng katholischen Highschool, ehe mit dem schauspielerisch begabten Danny (Lucas Hedge) und dem musikalisch begabten Kyle (Timothée Chalamet) zwei Jungs in ihrer Leben treten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnte.

War eben noch das Theaterstück, in dem Danny die Hauptrolle spielt, das wichtigste in Christines Leben, will sie später genauso cool sein wie Kyle, der sich auf Partys vorzugsweise abseits der feiernden Gäste an den Rand des Pools setzt und Howard Zinns A People’s History of the United States liest, in dem sich alles um den Perspektivenwechsel dreht. Genau dieser Perspektivenwechsel zieht sich wie ein roter Faden durch Lady Bird, denn angetrieben von ihrem Durst nach Leben stolpert die titelgebende Protagonistin in die verschiedene Situationen und muss dadurch ihre Position überdenken. Voller Verachtung für dieses trostlose Sacramento würde sich Christine am liebsten über alle Menschen um sie herum hinwegsetzen, wenngleich sie sich selbst erst eingestehen muss, dass auch sie nur einer dieser Menschen ist. Lady Bird geht dabei unverhohlen mit den Themen des Erwachsenwerdens um und  findet in vielen kleinen Momenten eine unerwartete Wahrhaftigkeit, die so direkt übermittelt wird, dass es wehtut. Aus Lady Bird purzeln die offenen Gefühle eines jungen Menschen voller Unsicherheit und Begierde heraus; gleichermaßen berührend wie inspirierend.

Getragen wird der Film zweifelsohne von Saoirse Ronans energiegeladener Performance, die Neugier und Naivität im gleichen Maß ausstrahlt und darüber hinaus etwas Unbeherrschbares zum Vorschein bringt. Ihre Christine lässt sich nicht bändigen, selbst wenn sie sich manchmal gar nicht sicher ist, warum sie wütend ist. Diese emotionalen Höhen und Tiefen fängt Greta Gerwig perfekt in ihrer lebendigen Inszenierung ein, die mitunter verspielt daran interessiert ist, die Umgebung zu entlarven, während eine intime Ebene voller Sehnsüchte, Träume und Wünsche nie verlorengeht. Darüber hinaus imitiert sie Christines Impulsartigkeit und findet in jeder Szene eine neue, aufregende Ideen, die sie fasziniert und nicht mehr loslässt. Lady Bird muss keine Posen durchlaufen, kein künstliches Drama erzeugen oder den Schmerz der Jugend in stilisierten Bildern verewigen. Stattdessen folgt die Kamera den Figuren genauso frei, wie sich diese durch den Film bewegen und miteinander unterhalten, selbst wenn sich Christine gerne im Irrglauben wiegt, sie müsse sich ständig behaupten, um an einem der Gespräche teilzunehmen.

Lady Bird schlüsselt dieses „müssen“ sehr schön auf und hinterfragt den Druck der Übergangsphase im Leben seiner Protagonistin. Am Ende ist es nicht nur Christine, die sich in ein undurchdringliches Labyrinth aus Erwartungen und Behauptungen hineingesteigert hat, sondern ebenfalls ihre Mutter, die sichtlich damit ringt, ihrer Tochter etwas von der Wahrheit zu offenbaren, die tief in ihr schlummert, aus irrationalen Gründen allerdings nie vollständig ausgesprochen wurde. Ausgerechnet an einem Flughafen, dem ultimativen Nichtort, könnte binnen weniger Sekunden all der schwere Ballast abgeworfen und die gigantischen Hürden überwunden werden, damit das Happy End zum Greifen kommt. Stattdessen leitet Greta Gerwig aber mit dieser unfassbar aufwühlenden Szene genauso schlicht wie ergreifend die letzten Minuten ihres Films sein, der kurz darauf ganz unspektakulär mit einem Kompromiss zu Ende geht. Dieser Kompromiss stellt jedoch keineswegs eine Einschränkung dar, sondern markiert vielmehr Christines Durchbruch, das Leben plötzlich aus deutlich mehr Perspektiven zu sehen, als es zuvor überhaupt für möglich gehalten hätte.

Lady Bird © Universal Pictures