Eine Blume, die Glück spendet, insgeheim aber die Menschen mit ihrem verführerischen Duft manipuliert: Mit dieser unheimlichen Geschichte mischte Jessica Hausner letztes Jahr den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes auf. Nun startet Little Joe auch bei uns in den Kinos und wir können eintauchen in ein kühles Labyrinth täuschender Eindrücke. Im Interview spricht Jessica Hausner über ihre erste englischsprachige Filmproduktion, die Wahrheit des Glücks und warum sie die Filme von Maya Deren und die Kompositionen von Teiji Ito begeistern.
Das Film Feuilleton: In Little Joe geht es um eine Blume, die Glück spendet. Woher kommt die Idee? Und warum brauchen wir so eine Pflanze?
Jessica Hausner: Mich beschäftigt ganz schön, wie sehr sich unsere Gesellschaft das Glücklichsein aufoktroyiert hat. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass wir oft nur damit beschäftigt sind, uns von der besten Seite zu zeigen. Jeder ist sein eigener Werbeträger und alles ist wahnsinnig gut und erfolgreich. Ich finde, das hat sich in den letzten Jahren irrsinnig gesteigert, diese Selbstdarstellung als erfolgreichen, glücklichen, positiven Menschen. Gerade auch diese Selbstoptimierung – das Wort fällt immer wieder. Ich spüre das sehr stark und habe den Eindruck, dass wir ganz schön viel verdrängen.
Wahrscheinlich ist das auch ein Grundprinzip von gesellschaftlichem Zusammenleben, dass man bestimmte negative Aspekte verdrängt, vielleicht auch, um glücklich leben zu können. Das ist eine Thematik, die mich sehr interessiert: Inwieweit ist Glück möglich? Ist es eher ein Zwang? Oder ist es nur eine Idee? Und sieht man das überhaupt? Wann ist jemand glücklich? Ich bin jetzt gerade nicht unglücklich, aber bin ich deswegen glücklich? Das ist ein Wort, wenn man näher hinschaut, zerfällt das so komisch in seine Einzelteile. Ich begreife das eher als Fragestellung denn als existierende Realität.
Verbiegen, betäuben, Grenzen überschreiten – so stellt der Film das Glück dar. Es muss inszeniert werden, am Ende bleibt aber vor allem Verunsicherung. Was ist da die Wirklichkeit des Glücks?
Jeder, der die Antwort wüsste, wäre ein Lügner. Das genau ist die Frage: Sind meine Gefühle vorgetäuscht oder echt? Wann bin ich authentisch? Ich denke, dass niemand von uns das beurteilen kann an seinem Gegenüber. Und je näher man einer anderen Person ist, desto größer ist die Angst davor, dass der andere lügt. Diese Zweifel an der Echtheit des anderen, das ist eine ganz universelle und allgemein menschliche Thematik, um die es da geht in meinem Film.
Ich hatte das Gefühl, dass neben dem Zweifel am Gegenüber auch der Zweifel an einem selbst eine große Rolle in Little Joe spielt.
Ich glaube auch, das geht damit zusammen. Ich zweifle an dem anderen, weil ich weiß, wie sehr ich selber lüge.
Das ist der erste Film, den du auf Englisch gedreht hast. Wie kam es dazu?
Grundsätzlich interessiert mich, meinen Horizont zu erweitern, mich aus meinem eigenen Land hinauszubewegen. Lourdes war französisch, Amour Fou war auf Deutsch, also in Deutschland gedreht und nicht in Österreich. Und Little Joe ist auf Englisch. Im Prinzip will ich damit sagen, dass ich schon die letzten drei Filme aus dem Österreichischen herausbewegt habe. Englisch deshalb, weil ich das passend fand.
Little Joe ist ein Film, der mit Genres spielt, wie Invasion of the Body Snatchers, der auf Englisch gedreht wurde. Dieses Genre ist ursprünglich amerikanisch. Genre ist sozusagen eine amerikanische Eigenheit. Ich fand die englische Sprache daher passend. Und es ließ sich auch der schwarze Humor, der manchmal in den Dialogen meiner Filme drin ist, ganz gut übersetzen. Also habe ich es auf Deutsch geschrieben und dann ist es übersetzt worden.
Wie ist das, plötzlich in einer Fremdsprache zu arbeiten? Gab es da Hürden, Probleme?
Ein Problem besteht darin, die Dialoge, die ursprünglich auf Deutsch geschrieben wurden, adäquat ins Englisch zu übersetzen. Wir haben sehr lange an der Übersetzung gearbeitet. Ein Übersetzer hat das übersetzt. Danach bin ich mit einem Autor, der Englisch als Muttersprache spricht, nochmal über den Text gegangen. Es wurde so viel hin und her gewendet, bis ich das Gefühl hatte, dass die Dialoge funktionieren und dass sie den Subtext und den Humor ähnlich rüberbringen wie in der deutschen Version.
Du hast vorhin schon Invasion of the Body Snatchers angesprochen. Gab es da noch andere Filme, die dich inspiriert haben?
Für diesen Film hat mich die Grundfragestellung von Invasion of the Body Snatchers sehr interessiert. Die Frage nach der Authentizität des Gegenübers. Das ist in Body Snatchers so scharf auf den Punkt gebracht: ist die Person, die ich glaubte zu kennen, tatsächlich echt, oder tut sie nur so als ob? Und wer kann den Unterschied erkennen?
Als ich Lourdes, Amour Fou und Hotel gesehen habe, war ich überrascht, wie abgründig und düster die Filme teilweise sind – der Blick auf den Tod und das Unvermögen der Menschen, sich ganz frei zu entfalten. Auch in Little Joe habe ich viele Motive davon wieder entdeckt. Besonders dieses Gefühl, eingeengt zu sein. Obwohl es eigentlich um Glück geht, wird nur kontrolliert und die Menschen sind gefangen.
Das empfinde ich als Grundvoraussetzung unseres Daseins: Freiheit ist eine Illusion, genauso wie Glück oder Liebe. Wir leben mit diesen Illusionen. Das hat zum Beispiel bei Lourdes eine ziemlich große Rolle gespielt: Mich hat dieser Ort zuerst sehr abgeschreckt und ich fand es erniedrigend, dass Leute, die bald sterben, denken, dass Gott sie jetzt noch retten wird, und plötzlich werden sie gläubig. Und dann habe ich an irgendeiner Stelle verstanden, dass es nicht nur diese Kranken sind, die nach Lourdes pilgern, sondern jeder von uns hält sich an bestimmten Ideen fest, um das Leben leben zu können, um Sinn im Leben zu finden.
Diese Ideen, die wir mit uns rumtragen, wie Glaube, Liebe und Hoffnung, sind ganz, ganz wichtig, um überleben zu können. Zugleich zeigen meine Filme immer wieder – sie reißen sozusagen kurz den Vorhang runter -, dass es nur Ideen und wir in Wirklichkeit nur Körner im Weltall sind. Das ist eine Perspektive, die wir permanent ausblenden und mit bestimmten Ideen verschönern.
Ich glaube, keiner möchte sich eingestehen, dass es Liebe nicht gibt und dass Begegnungen zwischen Menschen völlig zufällig sind und dass man etwas in den anderen hineininterpretiert, weil man es dort zu sehen glaubt. Wir tragen lieber Vorstellungen mit uns herum: „Liebe auf den ersten Blick“, „Wir sind füreinander bestimmt“ und „Wir werden immer miteinander bleiben.“
Gibt es wirklich keine Liebe?
Ich möchte zumindest infrage stellen, ob dieses Wort, das wir verwenden, nicht doch in verschiedenste kleine Aspekte zerfällt, wenn man genau hinschaut. Genauso wie das Wunder in Lourdes. Natürlich ist mal irgendjemand aus seinem Rollstuhl aufgestiegen, aber ob das alles rechtfertigt, was wir mit einem Wunder verbinden wollen, das ist die Frage. In Lourdes wird die Frau nur kurz glücklich. Das mache ich gerne in meinen Filmen: Die Absolutheit dieser Ideen zu hinterfragen, dass man einmal kurz die Brille hochhebt und sieht: „Oh, vielleicht macht das alles gar keinen Sinn.“
Ich war fasziniert von der kühlen, geradezu feindselig Atmosphäre in Little Joe. Das lag vor allem auch an der Musik von Teiji Ito. Wie bist du auf seine Kompositionen als Soundtrack für deinen Film gekommen?
Teiji Ito hat damals auch Musik für manche Filme von Maya Deren gemacht. Das ist eine Experimentalfilmemacherin aus dem New York der 1940er Jahre. Ihre Filme haben mich sehr inspiriert. Früher schon und auch heute noch. Also zum Beispiel Hotel hat viele Schnitt-Elemente von Maya Derens früheren Filmen übernommen. Ich finde, dass sie eine Pionierin ist, was Filmmontage betrifft. Sie hat eine ganz surreale, traumartige Welt erschaffen, großteils durch Schnitt.
Zu ihrer Ästhetik gehört aber auch die Musik von Teiji Ito, die schon damals in ihren Filmen sehr fremd wirkte. Die asiatische Kultur trifft auf Amerika – das hat mir damals sehr gefallen. Ich habe dann recherchiert, was er noch so für Musik komponiert hat, und habe diese drei Stücke von Watermill gefunden. Ich wusste, ich will in meinem Film asiatische Trommeln haben. Und dann habe ich zu diesen Stücken das Storyboard gezeichnet. Bestimmte Szenen sind genau so choreografiert, dass es mit der Musik zusammengeht oder eben auseinandergeht.
Zwei andere Dinge die in Little Joe sehr stak wirken: die Farben Rot und Grün. Dazu kommt meist ein weißer Hintergrund – welche Gedanken stecken dahinter?
Ich verwende in meinen Filmen oft Rot, wie ein roter Fade sozusagen. In Lourdes hat die Hauptfigur eine rote Kappe auf. In Hotel ist die Uniform rot und bei Little Joe sind es die Blumen. Rot ist eine Signalfarbe. Sie steht für Liebe, aber auch Gefahr – eine sehr archaische Blumenfarbe. Daraus hat sich in der Folge die Ästhetik des Films ergeben. Ich wollte nicht, dass die Blume Blätter hat. Dafür hat sie diesen dicken Stängel. Rot und Grün sind Komplementärfarben. Das hat sich ästhetisch interessant angefühlt.
Ich entwickele die Farbigkeit meiner Filme oft mit der Kostümbildnerin, mit der Tanja Hausner, das ist meine Schwester. Und die kommt dann mit ganz vielen Fotokopien und Bildern aus Zeitschriften oder Kunstbüchern. Bei Little Joe hat sie ein Bild gebracht, das war aus der Vogue, glaube ich: Ein Model, die hatte rot-blonde, kurze Haare, einen Pagenkopf und dazu eine pinkfarbene Bluse und eine Trenchcoat an. Besonders interessant war das Bild deswegen, weil es zeitlich nicht klar zu verorten war, so ein bisschen 70er, aber auch nicht wirklich. Das ist ein wichtiger Punkt in der Ästhetik: Dass der Film keiner bestimmten Zeit zugeordnet werden kann, sondern etwas Zeitloses an sich hat.
Apropos Blume: War Little Joe echt, also ein Prop? Oder habt ihr mit CGI gearbeitet?
Ich wollte nicht, dass alle Blumen digital gemacht werden, weil dann wären wir vor einem leeren Blumenbeet am Set gestanden. Das ist mir zu abstrakt. Ich brauchte also irgendwie die Blumen. Das heißt, wir haben alle Blumen von Hand herstellen lassen. Das war ein Propmaker mit seinem Team. Insgesamt gibt es fünf Wachstumsstadien der Blume, angefangen bei der Knospe, bis die Blume ganz offen ist.
Wir hatten pro Wachstumsstadium ungefähr 1000 Blumen, die echt am Set waren. Allerdings konnten sich die nich bewegen. Das heißt alles, was bewegt ist, ist dann digital gemacht worden. Wir haben die Blumen in dem 3D-Scan ins digitale Medium übersetzt und dort dann animiert. Manchmal standen also nur die Stängel raus und die Blumen wurden digital eingefügt. In den meisten Einstellungen aber sind die Blumen echte Plastikblumen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde zur Leserlichkeit gekürzt und verdichtet. Little Joe startet heute, am 9. Januar 2020, in den deutschen Kinos.
Little Joe © X-Filme
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