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Mosaic – Season 1 – Kritik

Steven Soderbergh wird nicht müde, den Umgang mit den bewegten Bildern auf die Probe sowie den Kopf zu stellen. Als er sich im vergangenen Jahr mit Logan Lucky nach dem selbsterklärten, temporären Ruhestand wieder auf der großen Leinwand zurückmeldete, sprudelte seine Arbeit geradezu vor Begeisterung für das Medium. Ebenfalls im vergangenen Jahr erschienen ist sein experimentelles Murder Mystery, das den Titel Mosaic trägt und vorerst lediglich in Form einer App zugänglich war. Als interaktive Serien in Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Ed Solomon entwickelt, konnte sich der geneigte Zuschauer mit seinem Smartphone in die Erzählung einklinken und zusätzliche Informationen wie etwa Voicemails und Polizeiberichte erfahren, sodass die Perspektive einer jeden Figur zum Vorschein kam – frei nach dem Motto: Jeder Bösewicht ist der Held seiner eigenen Geschichte.

An diesem Punkt nimmt das Experiment aber noch kein Ende. Zusätzlich zur App-Veröffentlichung hat Steven Soderbergh eine sechsteilige Schnittfassung angefertigt, die vor wenigen Tagen auf HBO ihre Premiere feierte und weiterhin daran interessiert ist, verschiedene erzählerische Perspektiven miteinander verschwimmen zu lassen. Zwar sind wir Zuschauer dieses Mal deutlich passiver in den Prozess der Ermittlungen im Mordfall von Kinderbuchautorin Olivia Lake (Sharon Stone) involviert, was im Gegenzug allerdings keineswegs bedeutet, dass Mosaic im Gewand einer linear erzählten Serie nicht genauso packend von den – oftmals – konträren Wahrheiten seiner Protagonisten_innen berichten kann. Im Gegenteil: Steven Soderbergh hat ein einnehmendes Drama geschaffen, das förmlich in seine kalte Welt aufsaugt.

Kalt sind sie wahrlich, die Bilder, die Steven Sodebergh mit verspielter Gelassenheit aneinanderreiht und dabei dennoch ein Gespür für den Ernst der Situation schafft. Aus ungewöhnlichen Blickwinkeln verfolgt er seine Figuren, die sich durch wiederkehrende Räumlichkeiten bewegen und hauptsächlich miteinander reden. Die ungewöhnlichen Blickwinkel verbünden sich später mit bereits erwähnten Erzählperspektiven und vermitteln abseits des gleichermaßen verzaubernden wie stechenden Lichteinfalls ein aufrichtiges Interesse für die Figuren. Steven Soderbergh begreift das Mysterium um den zentralen Mord als Chance, um einerseits tief ins Innere der Figuren einzudringen, andererseits – und das ist in diesem Fall noch spannender – gewährt er den Schauspieler_innen wahnsinnig viel Zeit und Raum, um ihre Rollen wahrzunehmen und zu gestalten.

Fasziniert beobachtet Steven Soderbergh das eifrige Gesicht von Frederick Weller, der sich anfangs als zwielichtiger Liebhaber präsentiert, eher er als Hauptverdächtiger ins Gefängnis kommt und fortan nur noch durch eine realitätsverzerrende Scheibe zum Publikum und seiner Schwester Petra spricht. Diese hat es sich wiederum in den Kopf gesetzt, den viel zu schnell zu den Akten gewanderten Fall auf eigene Faust zu überprüfen und verliert sich in einem Labyrinth aus Fakten und Fiktion. Geleitet von der Versuchung, die Wunsch-Wahrheit herauszufinden beziehungsweise zu konstruieren, geht Jennifer Ferrin gänzlich in dieser Rolle auf, ebenso wie der viel zu oft unterschätzte Garrett Hedlund, der seinen Künstler Joel Hurley mit zerbrechlicher Besonnenheit zum Leben erweckt.

Vergessen werden darf an dieser Stelle auf keinen Fall Sharon Stone, die zwar – ihrer Rolle als Opfer des Mordfalls entsprechend – hauptsächlich in der ersten Hälfte der Serie zu sehen ist, dennoch eine unheimliche Präsenz aufbaut und somit sprichwörtlich zum Zentrum des Geschehens avanciert. Wie die einzelnen Puzzleteile an Erikas Pinnwand führt früher oder später jedes Gespräch auf Olivia zurück. Es gibt kein Entkommen von der Toten. Erinnerungen lassen sie immer wieder lebendig werden, nicht zuletzt durch aufgezeichnete Telefonate oder ihr bleibendes Vermächtnis als Kinderbuchautorin. Steven Soderbergh zeigt sich gewohnt ideenreich, wenn es darum geht, die gesamten Auswirkungen des Handelns einer Person einzufangen. Ebenso lässt er nicht davon ab, technische Geräte gleichermaßen bewusst wie sinnvoll in die Handlung zu integrieren.

Wo sich viele Krimiserien im Angesicht ihres spektakulären Verbrechens in eine Sackgasse verleiten lassen, in der ausschließlich die Lösung des Falls diskutiert wird, entwirft Steven Soderbergh ein kleines Gesellschaftsporträt, das sich nicht nur seiner Figuren, sondern ebenfalls deren Umgebung bewusst ist. Wenngleich die Kamera am liebsten lange Zeit in einem Raum verweilt, um präzise Beobachtungen anzustellen, offenbart sich im Hintergrund der Serie ein Amerika-Panorama, das sich fortwährend ausbreitet und somit stets größere Dimensionen annimmt. Dann tauchen plötzlich die finalen Credits auf und künden vom Ende einer Geschichte, die zufriedenstellend, auf gewisse Weise sogar erfüllend zu einem Schluss gekommen ist. Gleichzeitig aber  bleibt das unbehagliche Gefühl eines Abschieds aus einer Welt, die sich wohl oder übel weiterdrehen wird.

Mosaic © HBO