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Nightmare Alley – Kritik

Die Welt steht in Flammen. Oder zumindest die Welt von Stan (Bradley Cooper). Er hat sie selbst angezündet. Das Haus seiner Familie brennt. Für den aufsteigenden Rauch interessiert sich keine Menschenseele. Stan verlässt seine Heimat, ohne dass jemand davon Notiz nimmt. Er ist ein unbeschriebenes Blatt und trägt dennoch eine Bürde mit sich herum, die ganze Bücher füllen könnte. Das Feuer verschlingt nicht nur Holzbalken, sondern eine traumatische Vergangenheit, die mit einer Leiche endete. Ein loderndes Requiem als Neuanfang: Nightmare Alley beginnt mit unheilvollen Bildern.

Nach seinem Oscar-Triumph The Shape of Water hat sich Guillermo del Toro an eine Neuverfilmung von William Lindsay Gresham Roman Nightmare Alley gewagt. 1947 wurde die Geschichte erstmals auf die große Leinwand gebracht, damals unter der Regie von Edmund Goulding und mit Tyrone Power in der Hauptrolle. Jetzt tauscht del Toro die märchenhaften Bilder seines vorherigen Werks gegen die unbehagliche Atmosphäre des psychologischen Thrillers, der sich zuerst im ländlichen Amerika der ausklingenden 1930er Jahre entfaltet, ehe er ins verschneite New York der darauffolgenden Dekade wechselt.

Es kann jedoch nicht genug Schnee fallen, um die düsteren Abgründe zu verbergen, die sich im Lauf der Handlung offenbaren. Stan schlägt bei einem Jahrmarkt auf und wird in die Welt verführerischer Trugbilder eingeführt. Die Menschen kommen an den Ort, um zu staunen und sich zu erschrecken. Sie wollen etwas erleben, das sie aus dem Alltag herausreißt, auch wenn es nur für einen kurzen Moment ist. Sehr viel länger hält die Illusion den kritischen Blicken sowieso nicht stand. Innerhalb einer stürmischen Nacht sind die Zelte abgebaut, die Wagen beladen und die ersten Kilometer auf dem Weg zum nächsten Ziel zurückgelegt.

Nichts ist hier von Dauer. Der Jahrmarkt entpuppt sich als ein großer Bewegungsfluss und offenbart Stan mehr Möglichkeiten, als er sich je hätte erträumen lassen. Doch selbst das ist ein Trugbild. Der wahre Motor der Geschichte ist die Wiederholung. Streng einstudierte Nummern werden wieder und wieder aufgeführt und aus dem Temporären wird ein Dauerzustand. Nach der Entschlossenheit des Aufbruchs schleicht sich das unheimliche Gefühl des Kontrollverlusts in den Film. Die Menschen verlieren sich in der eigenen Inszenierung, obwohl sie die Tricks kennen und durchschauen.

Nightmare Alley steuert auf einen grandiosen Schluss zu, der dank del Toros sorgfältiger Vorbereitung für Gänsehaut sorgt. Umso mehr verwundert es, dass es seinem Film zwischenzeitlich an Überzeugungskraft mangelt. Obwohl die Sets eindrucksvoll gestaltet sind, zeigt del Toro nur oberflächliches Interesse am Erkunden. Die Holzbretter, die über den schlammigen Grund des Jahrmarkts führen, und die einschüchternden Bauten von New York inklusive ihrer reich ausgestatteten Innenräume: All diese faszinierenden Orte existieren in Nightmare Alley, aber selten fühlen sie sich lebendig an.

Für einen Film, der uns in ein Gruselkabinett locken will, ist das enttäuschend. Selbst die Spirale, durch die sich Stan dem Angsteinflößenden nähert, hypnotisiert kaum. Obwohl del Toros Ideen für den Zerfall seiner Figuren in jedem Bild deutlich zu erkennen sind, erwecken diese oft einen distanzierten, teilnahmslosen Eindruck. Das überrascht besonders in Anbetracht der versammelten Talente: Rooney Mara, Cate Blanchett und Toni Collette können nie aus ihren spärlich geschriebenen Figuren ausbrechen. Lediglich Willem Dafoes tiefe Augenringe bleiben in Erinnerung.

Erst wenn sich Nightmare Alley wieder dem Menschen annähert, der einen Schritt von dem entfernt ist, was er am meisten fürchtet, nimmt Del Toros Neo-Noir an Fahrt auf. Stan glaubt, endlich das gefunden zu haben, was er richtig gut kann: die Menschen hinters Licht zu führen. Schlussendlich täuscht er sich selbst und geht den letzten Schritt, bevor er es realisiert. Nightmare Alley endet auf einer hoffnungslosen Note und Coopers wahnsinnigem Lachen. Es ist zu schade, dass sich der Film nicht durchgängig in dieser Abgründigkeit verliert. Am Ende ist doch mehr Schnee gefallen als erwartet.

Beitragsbild: Nightmare Alley © Walt Disney Studios Motion Pictures