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No Time to Die – Kritik

Auf ein kleines Stück Papier werden Ängste, Sorgen und Wünsche geschrieben. Unscheinbar wirken die Worte, doch an ihnen hängt eine größere Geschichte. In der Dämmerung der Abendsonne von Matera wird das Papier verbrannt und löst sich in Asche auf. Der Wind trägt die Schmerzen der Vergangenheit davon. Die Zurückgebliebenen haben jetzt alle Zeit der Welt, deutet der neue James Bond-Film mit einer musikalischen Referenz an Louis Armstrongs gleichnamigen Song aus On Her Majesty’s Secret Service an. Doch dann werden die alten Wunden mit einer Explosion noch weiter aufgerissen.

No Time to Die, der letzte Bond mit Daniel Craig, beginnt mit einer aufwühlenden Eröffnungssequenz, die sich auf zwei Ebenen abspielt und das Grundwerk für ein sich langsam entfaltendes Epos legt. Zuerst jagt uns ein unheimlicher Geist über einen zugefrorenen See. Mit jedem Schritt knackt das Eis bedrohlich, ehe Patronen in die Tiefe schnellen und ungeahnte Abgründe zum Vorschein bringen. Später, in der Gegenwart, haben sich diese Abgründe in Geheimnisse verwandelt. Geheimnisse, die James Bond (Craig) und Madeleine Swann (Léa Seydoux) auf Zettel schreiben, um sich von ihnen zu lösen.

Bevor sie die Möglichkeit erhalten, sich zum ersten Mal befreit von der schweren Last ihrer Vergangenheit in die Augen zu schauen, werden sie von einem adrenalingeladenen Action-Abenteuer auseinandergerissen. In No Time to Die verbirgt sich ein aufrüttelndes Element, das sich auf die Inszenierung des Films überträgt. Cary Fukunaga, der erste US-amerikanische Regisseur der Bond-Reihe, wartet mit einem der explosivsten und härtesten Kapitel für Craigs Abschiedsvorstellung auf. Innerhalb kürzester Zeit ist der Anzug verschlissen, das Gesicht von einer Schicht aus Schweiß und Dreck bedeckt.

Was Craigs Bond faszinierend macht, ist jedoch nicht nur die Körperlichkeit, die uns jeden Atemzug dieses Berserkers spüren lässt, wenn er durchs Bild kracht. Noch mehr prägt ihn eine Verletzlichkeit, die zum ersten Mal in Casino Royale im Zusammenspiel mit Vesper Lynd (Eva Green) deutlich wurde. Craig rennt durch Wände und erträgt die schmerzlichste Folter mit sturer Entschlossenheit. Seiner zärtlichen und empathischen Seite tut das keinen Abbruch. Mehrmals begegnen sich James und Madeleine in herzzerreißenden Momenten, in denen das Action-Getöse einem Wirbelsturm der Gefühle weicht.

No Time to Die denkt Craigs Bond bis auf die bitterste Konsequenz zu Ende. Schon lange begleitet die Figur die Frage, ob in dieser Welt überhaupt noch Platz für sie existiert. Diskutiert wird sie sowohl im Rahmen der Filmhandlung als auch durch den Diskurs, der um die Reihe herum stattfindet. Die Craig-Ära hat viele Bond-Elemente hinterfragt und modernisiert. Am beeindruckendsten ist die Einsamkeit, der Bond nicht entkommen kann. Die Menschen, die er liebt, verschwinden in der Tiefe des Ozeans. Trotz aller Weltrettung kann er nur hilflos mit den Armen rudern. Erreichen tut er sie allerdings nicht.

Zurück bleibt ein Bond, der weint und blutet. Der musikalische Verweis auf On Her Majesty’s Secret Service wird zum unheilvollen Vorboten für einen Film, der versucht, Craigs Bond mit allen Mitteln zu brechen. Was für eine Art von Held steht am Ende dieser brutalen Reise? Die finalen Minuten des Films geben eine Antwort voller Tragik und Schönheit, die sagenhaft von Linus Sandgrens rauen, erhabenen Bildern eingefangen wird. Der Kameramann verblüffte zuletzt mit seiner Arbeit an La La Land und First Man. No Time to Die verleiht er eine Bildsprache, die Craigs verletztem Bond ebenbürtig ist.

Sandgrens Kamerabewegungen zeugen von einer entschlossenen Eleganz, folgen jeder Regung in den Actionszenen und schaffen mühelos ein Gespür für das epochale Ausmaß dieser letzten Bond-Vorstellung. Noch stärker wirken seine Bilder, wenn sich No Time to Die – ähnlich wie Spectre – in die beklemmende Atmosphäre des Weltuntergangs hineinsteigert. Craigs Bond trägt oft einen apokalyptisch anmutenden Kampf aus, besonders wenn er durch vernebelte Wälder rennt und sich in einer Geheimanlage verirrt, die im gleichen Krater wie das Finale von You Only Live Twice verortet sein könnte.

Fukunaga hat die Bond-Geschichte studiert und nähert sich faszinierenden Orten der Reihe, die wir so schon lange nicht mehr gesehen haben, allen voran der graue, unterirdische Komplex, der den entscheidenden Akt des Films dominiert. In einer Ära, die von moderner Technologie und dem Informationszeitalter geprägt wurde, ist es ein einfacher Hebel, der Bond zum Verhängnis wird. Mühelos passiert er Grenzen. Ein Anruf genügt, um den Lauf der Geschichte zu verändern. In No Time to Die sieht er sich jedoch mit einem Mechanismus konfrontiert, den er weder austricksen noch umgehen kann.

Die großen Motive des Films gehen stimmig ineinander über. Dennoch macht es sich das Drehbuch an vielen Stellen im Mittelteil unnötig kompliziert, wenn Handlungsstränge, die sich zuvor getrennt voneinander abspielten, verknüpft werden sollen. Bonds Vertrauensbruch mit MI6-Kopf M (Ralph Fiennes) gehört zu den Opfern unter den spannenden Konflikten, die nicht genug Luft zum Atmen erhalten, um sich angemessen zu entfalten. Ähnlich verschluckt wird der Masterplan des geheimnisvollen Bösewichts Lyutsifer Safin (Rami Malek). Was von ihm bleibt, ist eine gespenstische Maske, die für Horror sorgt.

Fukunaga, der gemeinsam mit den Bond-Veteranan Neal Purvis und Robert Wade sowie Fleabag-Mastermind Phoebe Waller-Bridge das Drehbuch schrieb, streut geschickt schaurige Elemente in den Film. Obwohl Safins Motive sehr kryptisch ausfallen, wird er durch den Horror zur gefährlichen Präsenz. Ein Schatten, der sich langsam über Bonds Welt legt und die meiste Zeit nicht greifbar ist: Stimmungstechnisch funktioniert fast alles in No Time to Die, gerade der Wechsel zwischen ernsthaftem Drama und dem trockenen Humor. Treffsichere One-liner waren nie ein Problem der Craig-Ära.

Nachdem sich Craigs Bond in der letzten Szene von Spectre auf visueller Ebene in eine traditionelle Richtung verabschiedete, schleust Fukunaga extrem stylishe Bilder in seinen Film. Alles, was Natasha Lynch mit ihrer Sonnenbrille macht, ist ein Geschenk. Ihre Agentin Nomi konkurriert mit Bond nicht nur um den Doppel-Null-Status, sondern auch um die Coolness. Die größte Scene-Stealerin ist aber jemand anderes: Ana de Armas schießt sich als CIA-Agentin Paloma mit unverschämter Lässigkeit durch eine der verspieltesten Actionszenen des Films, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht.

Sie bringt eine Frische ins Bond-Universum, die trotz der vielen Abschiede neugierig auf die Möglichkeiten macht, die sich der Reihe in Zukunft bieten. Am Ende sind es allerdings die tiefen, melancholischen Töne, die den Charakter von No Time to Die prägen. Billie Eilishs klagender, sehnsuchtsvoller Bond-Song bildet das Fundament der letzten Craig-Stunden. Sie sind verschlungen von Schmerz und Trauer. Selten war sein Bond so erschüttert, so außer sich vor Wut. Gefangen in der Einsamkeit von jemandem, dessen einziger treuer Begleiter der Tod ist. Ein großartiges Finale.

Beitragsbild: No Time to Die © Universal Pictures