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Parasite – Kritik

Der Tag der Kims ist ruiniert, denn wie sie mit Erschrecken feststellen müssen, hat die Nachbarin plötzlich ihr WLAN verschlüsselt. Nun muss die vierköpfige Familie einen neuen Weg finden, um ihre WhatsApp-Nachrichten zu checken, sonst droht ihnen, in ihrer Kellerwohnung den Anschluss an die Welt zu verlieren. Mit dem Zusammenfalten von Pizzakartons halten sich die Kims über Wasser, doch ein ausreichendes, geschweige denn sicheres Einkommen ist das nicht. Dann aber offenbart sich dem Sohn der Familie, Ki-woo (Choi Woo-shik), eine unerwartete Möglichkeit: Von einem Freund wird er als Nachhilfelehrer für die Tochter des wohlhabenden Geschäftsmanns Mr. Park (Lee Sun-kyun) empfohlen.

Dass Ki-woo keinerlei Qualifikationen dafür mitbringt, spielt keine Rolle: Seine Schwester, Ki-jung (Park So-dam), fälscht ihm kurzerhand die entscheidenden Unterlagen und öffnet damit das Tor in eine Welt, aus der die Familie Kim weit mehr als nur das WLAN abgreifen kann. Nach und nach schleichen sich die einzelnen Familienmitglieder in das prächtige Anwesen der Parks – und zwar nicht im Zuge einer Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern ganz offiziell als frisch angestelltes Personal. Eine Übernahme, die Bong Joon-ho in seinem passend betitelten Parasite genauso spielerisch wie spannend inszeniert. Wo eben noch die Leichtigkeit und Eleganz der Erzählung entzückte, folgt im nächsten Moment ein Schlag in die Magengrube.

Der Klassenkampf ist für Bong Joon-ho kein neues Thema. Am deutlichsten kam er bisher in der dystopischen Comicverfilmung Snowpiercer zum Ausdruck, wo sich der Rest der Menschheit im Angesicht seiner Auslöschung in einem fahrenden Zug zusammengerafft hat. Dieser war streng unterteilt in verschiedene Abteile, wobei die untere Schicht ganz am Ende des Zuges unter erbärmlichen Umständen hausen musste, ehe der Funke zur Revolution entfachte und die Kamera auf der Horizontalen einer mitreißenden Bewegung des Umsturzes folgte. Parasite verlagert diese Geschichte nun ins Seoul der Gegenwart und folgt einer vertikalen Linie: Es gibt die da oben und die da unten. Erst im Verlauf der Zeit verschwimmen die Grenzen.

Diese Täuschung gehört zu den verblüffendsten Elementen, die Bong Joon-ho gemeinsam mit Co-Autor Han Jin-won in seinen Film eingearbeitet hat. Sie findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt und besitzt gleichermaßen ihre komischen wie tragischen, mitunter sogar unheimlichen Facetten. Parasite entpuppt sich gerne als entlarvende, bitterböse Satire und zerlegt die Gesellschaft mit messerscharfen Beobachtungen in ihre Einzelteilen. Übergeordnet ist jedoch der menschliche – oder eben auch unmenschliche – Aspekt der Geschichte: Obgleich sämtliche Figuren in dem Film durch einen geschickten Schachzug problemlos ausgetauscht werden können, geht es am Ende um echte Leben. Parasite demonstriert mit schockierender Konsequenz, wie schnell die Stimmung und die Verhältnisse kippen können.

Überraschungsarm ist dieser Film folglich keineswegs, im Gegenteil: Bong Joon-ho begeistert pausenlos, wie er seine kleine Idee weiterdenkt und in neue ungeahnte Ecken des Park-Hauses führt, sodass sich Parasite zunehmend in ein erschütterndes Epos über das soziale Gefälle in der Gesellschaft verwandelt. Besonders spannend gestaltet sich die Integration von Wut und Verachtung auf beiden Seiten des Spektrums, eine explosive Mischung, die gewissermaßen auch als Motor dieses temporeichen Films fungiert und erst im finalen Akt von einem zerstörerischen Sturzbach abgelöst wird, der zu den  eindrücklichsten Sequenzen gehört, die Bong Joon-ho in seiner wahrhaft außerordentlichen Filmographie auf die große Leinwand gebannt hat.

Ein Regenguss unbeschreiblichen Ausmaßes wird in Parasite zu einem niederschmetternden Sinnbild für die Schere, die sich zwischen den beiden Familien auftut. Während sich die Parks in ihrer Villa, die wie eine Festung in den Hügeln thront, über die Erfrischung vom Himmel freuen, säubert sie doch den Dreck von den Straßen und reinigt die Luft, werden die Wassermaßen auf dem Bodenlevel der Kims zur existenzbedrohlichen Gefahr. In einer Nacht könnten sie einfach ausgelöscht werden. Niemand würde es mitkriegen und erst recht niemand würde sich nach ihnen erkundigen. Trotzdem porträtiert Bong Joon-ho die Beziehung der beiden Familien als schicksalhaften Symbiose. Das kaputte System schafft Abhängigkeiten in beide Richtungen – mit verheerenden Folgen.

Parasite © Koch Films