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Red Notice – Kritik

Als Red Notice im Februar 2018 zum ersten Mal die Runde in Hollywood machte, waren vor allem die etablierten Studios interessiert, von Universal über Paramount bis hin zu Warner und Sony. Am Ende des Tages landete der reizvolle Action-Blockbuster bei keinem der traditionellen Majors, sondern wurde begierig von einem Streaming-Dienst in Empfang genommen: Netflix. Der Ruck in der Filmlandschaft war zu spüren: Das Kinoevent wurde über Nacht zum Streaming-Ereignis.

Dwayne Johnson, Gal Gadot und Ryan Reynolds gehören zu den wenigen Namen, die heutzutage noch verlässlich Menschen ins Kino locken, vorzugsweise in Verbindung mit einer bekannten Marke wie dem Fast & Furious-Franchise oder einer Comicverfilmung. Obwohl Red Notice einen limitierten Kinostart erhalten hat, zieren die Gesichter des Casts diesen November keine Kinoplakate, sondern die Thumbnails auf Netflix. 200 Millionen US-Dollar hat sich der Streaming-Gigant seinen ersten Mega-Blockbuster kosten lassen.

Das Versprechen ist aggressiv und eindeutig: Das, was bisher nur im Kino zu sehen war, ist ab sofort auf Netflix möglich. Über Filme wie Michael Bays entfesselten Action-Kracher 6 Underground hat sich der Streamer langsam an die Größenordnung von Red Notice herangetastet. Jetzt spielen Johnson, Gadot und Reynolds ihre Star-Power in einem Film aus, der definitiv so aussieht, als hätten die Verantwortlichen keine Kosten und Mühen gescheut. Doch was steckt wirklich hinter dem aufgeblasenen Spaß?

Die kurze Antwort: ein überraschend guter Film. Auch wenn das von Rawson Marshall Thurber inszenierte Heist-Abenteuer den Blockbuster im Streaming-Zeitalter nicht neu definiert, sorgt die Kombination vertrauter Elemente für zwei rasante Stunden. In seinen besten Momenten fühlt sich Red Notice wie eine Mischung aus Pierce Brosnans späteren James Bond-Filmen und einer modernen Version von Indiana Jones an. Die Vorbilder sind offensichtlich, der Film sehr direkt. Es gibt nicht viel zu entdecken, aber einiges zu erleben.

Johnson spielt den Interpolagenten John Hartley, der in eine Zwickmühle gerät: Um seinen Namen reinzuwaschen, muss er sich mit Reynolds‘ Kunstdieb Nolan Booth verbünden. Allein das Wort Teamwork bereitet den beiden Bauchschmerzen. Zusammengeschweißt werden sie von einer gemeinsamen Feindin: Sarah Black, ihres Zeichens eine noch talentiertere Kunstdiebin, die von Gadot mit verführerischer Gelassenheit zum Leben erweckt wird und einen spannenden Kontrast zu ihrer Wonder Woman bildet.

Wenn sich der Film pragmatisch von einem Set-Piece zum nächsten bewegt, kann er seine unattraktive Formelhaftigkeit kaum vertuschen. Red Notice ist modelliert nach den besten Vertretern seiner Art, bewegt sich jedoch nie auf gleicher Augenhöhe. Sobald er die Energie seiner Stars entfesselt, geht es trotzdem rund. Besonders Gadot und Reynolds schlängeln sich gekonnt durch den künstlichen Hindernisparcours. Lediglich Johnson gerät an seine Grenzen – und das, obwohl mit Thurber sein Stammregisseur an Bord ist.

Zusammen haben die beiden die Actionkomödie Central Intelligence und den Stirb langsam-Verschnitt Skyscraper ins Kino gebracht. In Red Notice verlässt sich Johnson zu sehr auf seine Routine, was seinen John Hartley durchaus auf den Punkt bringt. Im direkten Vergleich zu Gadot und Reynolds fällt er allerdings ab. Seine Co-Stars beherrschen das spielerische Element des Katz-und-Maus-Spiels deutlich besser. Selbst Ritu Arya, bekannt aus The Umbrella Academy, stiehlt ihm in einer Nebenrolle die Show.

Über weite Strecken funktioniert Red Notice trotzdem, was vor allem am schnittigen Einstieg liegt, der Dank der Rom-Kulisse beste Erinnerungen an die Infiltrierung des Vatikans in Mission: Impossible III weckt. In seinen letzten Atemzügen verliert der Film zwar die Lust an seiner amüsanten Prämisse und will nur noch zum Punkt kommen. Die Aussicht auf ein weiteres Abenteuer mit diesem Trio ist trotzdem nicht ohne Reize. Red Notice gewinnt als kurzweiliger Feel-Good-Blockbuster.

Aller Kurzweil zum Trotz bleibt eine Enttäuschung: die vertane Chance. Netflix interessiert sich zu sehr dafür, den Kino-Blockbuster der 2000er Jahre nachzustellen, anstelle ihn mit seinen Ressourcen und Möglichkeiten weiterzudenken. Netflix geht auf Nummer sicher bei Red Notice. Da war 6 Underground der radikalere Blockbuster, der unter dem Dach des Streaming-Diensts entstanden ist. In seiner jetzigen Form wäre er so vermutlich nicht so leicht bei einem etablierten Studio durchgewunken worden.

Beitragsbild: Red Notice © Netflix