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Red Rocket – Kritik

Wild springt das Filmkorn umher, ehe die Kamera herauszoomt und ein ganzes Leben an uns vorbeizieht: Mikey (Simon Rex) sitzt niedergeschlagen im Bus von Los Angeles nach Texas City. Von einer glorreichen Heimkehr kann keine Rede sein. Obwohl er sich als Pornostar einen Namen gemacht hat, sind seine goldenen Zeiten vorbei. Die funkelnden Lichter Hollywoods weichen einer trostlosen Industrielandschaft. Red Rocket, der neue Film von Sean Baker, beginnt mit einem hoffnungslosen Bild. Dennoch besitzt es eine vibrierende Schönheit, die mit jeder Minute mehr in ihren Bann zieht.

Qualmende Schornsteine und unzählige Rohre lassen die Fabriken im Hitzeflimmern wie bedrohliche Burgen aus der Ebene ragen. Wenn die Sonne untergeht, verwandeln sie sich in die Silhouetten hungriger Bestien, die niemals schlafen. Selbst in der Nacht ist das unermüdliche Brummen der Maschinen zu vernehmen. Es legt sich allerdings nicht als Störgeräusch über den Film. Vielmehr gleicht es dem Grillenzirpen einer lauen Sommernacht und strahlt etwas Beruhigendes aus. Trotz aller zerstörten Träume entsteht in Red Rocket das unwahrscheinliche Gefühl von Geborgenheit.

Schon in The Florida Project spielte Baker geschickt mit widersprüchlichen Eindrücken. Vor dem Hintergrund eines zerfallenden Königreichs tauchen wir in die Lebenswelten von verletzten Menschen am Rand der Gesellschaft ein. Der Übergang zu Red Rocket ist ein nahtloser: Baker greift viele Themen auf, die schon zuvor in seinem Schaffen gegenwärtig waren. Was aber noch wichtiger ist, sind die energiegeladenen Stimmungen, die er seit seinem Durchbruch mit Tangerine einfängt. Auch in Red Rocket pulsiert eine unbändige Rastlosigkeit, die mit einer verblüffenden Gelassenheit kollidiert.

Wenn Mikey mit seinem Fahrrad schwerelos durch die Straßen gleitet, baut Baker die schleichende Illusion verlängerter Sommerferien auf. In Wahrheit künden die glühenden Sonnenuntergänge, die er in wunderschöne 16-mm-Aufnahmen rahmt, von einer bitteren, düsteren Welt. Zwischen gebrochenen Herzen und leeren Versprechen jagt Mikey einer Version des amerikanischen Traums hinterher, die nach all den Niederlagen seines Lebens nur noch mehr Schaden anrichtet. Baker zeigt jedoch nicht nur das Triste in seinem Film, sondern findet hinter den einstürzenden Fassaden tragische Geschichten.

So unausstehlich Mikeys aufdringliche Oberflächlichkeit ist, so faszinierend ist es, Simon Rex (seines Zeichens selbst ein ehemalige Pornodarsteller) dabei zu beobachten, wie er die Figur durch das Labyrinth ihres Versagens steuert – und zwar mit der festen Überzeugung, dass er am Ende der Geschichte als Gewinner dasteht. Im Minutentakt setzt er die Beziehung zu seiner Noch-Ehefrau Lexi (Bree Elrod) und deren Mutter Lil (Brenda Deiss) aufs Spiel, während er sich heimlich an die 17-jährige Donut-Verkäuferin Strawberry (Suzanna Son) heranmacht. Sie soll sein Ticket zurück in die Stadt der Engel werden.

Mikey manipuliert die Menschen um sich herum, lässt sie im Stich oder reißt mit sich in den Abgrund. Ein großartiger furchtbarer Protagonist, den Baker mit einer Ambivalenz in Szene setzt, der man sich nicht entziehen kann. Mikey ist genauso abstoßend wie magnetisch und fügt sich perfekt in die Umgebung des Films ein. Über zwei Stunden lang hält Baker diese einnehmende Dynamik aufrecht und gibt uns Grund, um mitzufiebern. Red Rocket ist ein emotionaler Sturm, der durch ein Amerika voller Schönheit und Grauen fegt. Das wild durchs Bild wirbelnde Korn vom Anfang ist nie verschwunden.

Beitragsbild: Red Rocket © Universal Pictures

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