Ein silberner Komet schlägt im Kino ein. Schillernd leuchtet sein Schweif am Himmel. Mit unbändiger Strahlkraft durchbricht er die Dunkelheit. Dann bebt die Erde. Oder mit anderen Worten: Beyoncé bringt die Renaissance World Tour auf die große Leinwand. Von Mitte Mai bis Anfang Oktober 2023 war die US-amerikanische Sängerin mit ihrem siebten Studioalbum auf Tour, von Stockholm bis Kansas City. Insgesamt 56 Shows hat sie gespielt, wobei der Begriff Show eine Untertreibung für das ist, was Beyoncé mit ihrem Team auf der Bühne erschafft. Vor unseren Augen entsteht ein popkulturelles Moment, eine spirituelle Erfahrung und die Krönung ihres Schaffens.
Eine unendliche Flut aus Licht, Bewegung und Musik: Nach Taylor Swift: The Eras Tour ist Renaissance: A Film by Beyoncé das zweite filmische Konzert-Highlight des Jahres, das dem schwach aufgestelltem Kino-Herbst mehr Blockbuster-Charakter verleiht als die meisten anderen Filme, die diese Aufgabe eigentlich übernehmen sollten. Genauso wie Swift hat sich Beyoncé gegen eine traditionelle Auswertung entschieden und macht einen großen Bogen um die Hollywood-Studios. Renaissance folgt dem Vorbild von The Eras Tour und wird von der US-amerikanischen Kinokette AMC Theatres vertrieben. Ein entscheidender Unterschied existiert aber zwischen den beiden Projekten.
Während sich The Eras Tour komplett auf Swifts Performance fokussiert, um so viel wie möglich von der puren Konzerterfahrung auf die Leinwand zu bannen, erweitert Beyoncé ihren Film um dokumentarische Elemente, die Einblick hinter die Kulissen geben. Angefangen bei der Entstehung der Tour bis hin zur logistischen Meisterleistung hinter dem Bühnenaufbau: Renaissance erzählt von einem mächtigen Stahlgebilde und einem Meer aus Scheinwerfern, ganz zu schweigen von einer gigantischen LED-Wand, deren kreisförmiges Zentrum zum Tor in andere Dimensionen wird. Wenn Beyoncé Lift Off singt, könnte sich diese Bühne auch einfach in ein Raumschiff verwandeln und abheben.
Mehrmals spricht Beyoncé von einer perfekt geölten Tour-Maschine. Renaissance ist nicht nur ein wuchtiges Gebilde, das in 168 Minuten jeder Facette des Handwerks gerecht werden will. Beyoncé nutzt den Film auch, um die Inspirationen zu teilen. Black Dance Music und die Ballroom Culture spielen dabei eine wichtige Rolle, genauso wie persönliche Geschichten, die in emotionalen Passagen das Konzertgeschehen vertiefen. Kurz bevor Beyoncé My Power auf der Bühne entfesselt, diskutiert sie die Beteiligung ihrer Tochter, Blue Ivy. Wenn die beiden dann tatsächlich gemeinsam auf der Bühne stehen, fällt die Performance nach dem hadernden Rückblick umso stärker aus.
In Renaissance gibt es viele Seiteneinblicke in das Spektakel auf die Bühne, auch durch die Form des Films. Beyoncé greift auf eine Vielfalt an Material zurück, mal in geballter Farbwucht, mal im archivarisch anmutenden Schwarz-Weiß. Hochglanzaufnahmen und verwackelte Videomitschnitte. Ein Neuanfang, gefilmt aus tausend Perspektiven, der in der Montage eine unglaubliche Sogkraft erreicht. Lead-Editor Tom Watson lässt die geballte Wucht der Show in einem großen Bilderstrom zusammenlaufen und setzt viele kluge Schnitte, die das Konzert mit dem Making-of-Körper des Films verbinden. Am stärksten ist Renaissance aber, wenn eine Gleichzeitigkeit der Tour entsteht.
Im Sekundentakt springt der Film zwischen mehreren Konzerten hin und her. Die Kontinuität der Einstellungen und Choreografien bleibt erhalten. Was sich verändert, sind die phänomenalen Kostüme, die das Ausmaß der Tour erst begreifbar machen. Plötzlich bewegen wir uns in einer Dimension, in der alle Renaissance-Konzerte gleichzeitig stattfinden. Die gesamte Energie der Tour, gebündelt in den Möglichkeiten des Kinos. Ein Flackern aus Nebel und Licht. „I close my eyes and travel through realms of space and time“, so leitet Beyoncé die Renaissance ein. „Reality holds no power or control of my state of mind.“ Und dieser rauschhafte Film ist ein mehr als eindrückliches Zeugnis dafür.
Beitragsbild: Renaissance © AMC/Trafalgar Releasing/LUF Kino
Kommentare sind deaktiviert.