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Taylor Swift: The Eras Tour – Kritik

Ausgerechnet Taylor Swift offenbarte sich im Herbst als Retterin des Kinos, nachdem viele Hollywood-Studios ihre heiß erwarteten Projekte ins nächste Jahr verschoben hatten. Ausschlaggebend dafür war der Doppelstreik der Schauspieler:innen und Drehbuchautor:innen. Mehrere Monate lang stand fast die gesamte Filmindustrie in den USA still. Nach einem üppigen Blockbuster-Sommer drohte gähnende Leere. Von Dune: Part Two über Kraven the Hunter bis Challengers: Große und kleine Filme räumten das Feld. Genau in diesem hoffnungslosen Moment kündigte Swift an, den bisher größten Triumph ihrer Karriere ins Kino zu bringen, namentlich The Eras Tours.

Seit März befindet sich die US-amerikanische Sängerin auf Tour. Es ist ihre erste seit der Reputation Stadion Tour 2018. In der Zeitrechnung von Taylor Swift bedeutet diese Fünfjahrespause: vier neue und vier neu aufgenommene Alben. Um diese beachtliche Erweiterung ihrer Diskografie in einer Show zu vereinen, hat Swift eine dreieinhalbstündige Konzertepos konzipiert, das mit aufwendigen Choreografien und Bühnenbildern durch alle Phasen ihres Schaffens führt, inklusive eines Akustik-Sets mit zwei Überraschungssongs, die ihre Musik abseits der großen Hits erforschen. Im Kino erwacht The Eras Tour als 169-minütiger Konzertfilm mit ein paar Kürzungen zum Leben.

Ein unerwarteter Blockbuster, der Hollywood auf den Kopf stellt: Während sich die Studios einer schnellen Lösung des Streiks verwehrten, umschiffte Swift die Giganten der Traumfabrik und wandte sich direkt an die Kinos, konkret AMC und Cinemark. Ohne einer aus langer Hand geplanten Werbekampagne brach The Eras Tour bereits wenige Stunden nach Ankündigung mehrere Vorverkaufsrekorde. Mit einem Einspielergebnis von über 240 Millionen US-Dollar hat es der Film inzwischen zum erfolgreichsten Konzertfilm überhaupt geschafft – bei einem Budget von 10 bis 20 Millionen US-Dollar und nur vier Spieltagen pro Woche (Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag).

Von den ursprünglich 44 Songs wurden sechs Stück geschnitten und einer in den Abspann verschoben. Der Rest des Konzerts bleibt intakt, angefangen bei der Gänsehaut-Eröffnung mit Cruel Summer bis zum nicht weniger spektakulären Finale, das im Energiebündel Karma kulminiert. Aufgenommen wurde The Eras Tour an drei Abenden im August 2023 vor 70.000 Fans im SoFi Stadium in Inglewood, Kalifornien. Als Regisseur steht Sam Wrench hinter den wuchtigen Bildern, die Swifts Bewegungen zielsicher einfangen. Nach Billie Eilish: Live at the O2 beweist Wrench zum zweiten Mal dieses Jahr, dass er es versteht, komplexe Bühnenshows auf die Leinwand zu bannen.

Wrench und Kameramann Brett Turnball filtern die Essenz aus Mandy Moores mitreißenden Choreografien heraus, während das fünfköpfige Schnitt-Team unter Dom Whitworth jeder Ära ihren eigenen Rhythmus verleiht. Einzelne Passagen von The Eras Tour kommen in gigantischen Bildern daher, die von allen Kostümen und Farben sowie den Tanzenden auf der Bühne Gebrauch machen. Andere fokussieren sich allein auf Swifts Gesichtszüge und schaffen vor der riesigen Kulisse eine geradezu intime Atmosphäre, etwa bei der zehnminütigen Version von All Too Well, mit der Swift ihren Status als eine der besten Geschichtenerzählerinnen unserer Zeit untermauert.

Wenn Swift bei Delicate verspielt mit dem Fuß auf den Boden stampft, zieht sich ein Riss durch die Bühne, als würde jedes Element der millionenschweren Produktion mühelos ineinander übergehen. Umso verblüffender gestalten sich die Augenblicke, in denen Swift aus der präzise einstudierten Darbietung ausbricht und der emotionale wie körperliche Kraftakt dahinter zum Vorschein kommt. Verlaufenes Make-up, verschwitzter Körper und Haare, die chaotisch im Gesicht kleben: In diesen Momenten offenbart The Eras Tour einen rohen Kern. Egal, wie überlebensgroß die epischen Kamerafahrten Swift in Szene setzen, am Ende wirkt sie menschlich und nahbar.

Dieses Motiv zieht durch viele ihrer filmischen Ausflüge in den vergangenen Jahren, von der tiefschürfenden Dokumentation Miss Americana bis hin zu den nachdenklichen Long Pond Studio Sessions. In The Eras Tour werden 17 Jahre Musikgeschichte lebendig. Unmöglich kann man sich der Begeisterung entziehen, wenn Swift voller Leidenschaft in die Welten zurückkehrt, die sie geschaffen und erneuert hat. Beiläufige Verweise auf ihren Werdegang und ein berührender Dialog mit ihrem popkulturellen Vermächtnis: Jeder Song ist mit einer persönlichen Bedeutung aufgeladen. Jede Ära besitzt ein eigenes Narrativ, eine eigene musikalische und visuelle Sprache – auch auf der Bühne.

Nach über einem halben Jahr an mitgefilmten Videos, die in den sozialen Netzwerken die Magie des monumentalen Konzertereignisses weitergetragen haben, manifestiert der Film die Eras Tour in glasklaren Bildern als berauschende Kinoerfahrung. Obwohl Wrench und sein Team wenige Experimente in der Form eingehen, fangen sie beispiellos die Energie und das ansteckende Selbstbewusstsein von Swifts Performance ein. Eine Einladung zum Tanz im Kino, die Hollywood zittern lässt und gleichzeitig inspiriert: Mit seiner unkonventionellen Veröffentlichungsstrategie zeigt The Eras Tour, dass es deutlich mehr als nur einen Weg auf die große Leinwand gibt.

Beitragsbild: The Eras Tour © AMC/Trafalgar Releasing/LUF Kino