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Song to Song – Kritik

Song to Song ist ein Film der Berührungen. Immer wieder nähern sich die einzelnen Figuren langsam einander an, ertasten sich gegenseitig, ehe sie sich in die Arme schließen. Dann umschlingen sie sich, rollen über den Boden und verschmelzen zu einer Person. Die Unzertrennlichkeit währt allerdings nicht lange in Terrence Malicks jüngstem Werk, das sagenhaft an seine vorherigen Arbeiten anschließt, geradezu in den gleichen Hymnus einstimmt, den To the Wonder und Knight of Cups zuletzt angestimmt haben. Kaum haben sich Cook (Michael Fassbender) und Faye (Rooney Mara) in den ersten Momenten gefunden, so werden sie kurz darauf wieder auseinandergerissen. Sprunghaft bewegt sich Song to Song durch eine Geschichte, die sich assoziativ aus fragmentarischen Einblicken in die Leben von vier verschiedenen Menschen zusammensetzt. Es ist ein unbeschreiblicher Rausch schwebender Momentaufnahmen.

Neben Cook und Faye gibt es da noch BV (Ryan Gosling) und Rhonda (Natalie Portman), die sich abwechselnd über den Weg laufen und vor verträumten Hintergründen verlieren. Mal geht die Sonne unter und die Landschaft offenbart eine malerische Idylle. Ein anderes Mal verliert sich Emmanuel Lubezkis Kamera in gigantischen Glasfenstern und dem einfallenden Licht, das sämtliche Figuren in einen schimmernden Schleier hüllt. Plötzlich erstrahlt eine Gesichtshälfte in aller Deutlichkeit, während die andere in der Ungewissheit des Schattens verschwindet. Nie passiert es aber, dass ein solcher Augenblick für die Ewigkeit bestimmt ist. Nein, bei Terrence Malick befindet sich alles im Fluss und stets in Bewegung. Nicht einmal dann, wenn Song to Song in die Musikszene von Austin, Texas vordringt, können einzelne Künstler mit ihren Darbietungen die Kamera für längere Zeit binden. Stattdessen folgt ein Impuls auf den anderen.

Am chronologischen Erzählen ist Terrence Malick schon lange nicht mehr interessiert. Vielmehr entwirft er gigantische Paletten an Eindrücken, die unbändig ineinander übergehen und ebenso schnell von einem neuen Gedanken unterbrochen werden. Dennoch baut sich beständig etwas auf und im Hintergrund schwellen die Konflikte an, obwohl kaum ein Wort gesprochen wird. Terrence Malicks Figuren kommunizieren nicht auf offensichtlichem Wege, sondern greifen auf Blicke und Gesten zurück, die das Ensemble zusammenführen und wieder auseinandertreiben. Kommt es trotzdem zum verbalen Austausch, so verschwinden die Stimmen genauso plötzlich im Hintergrund des Geschehens, wie sie in den Vordergrund gekommen sind. Lediglich gesungen darf hier werden – das wünscht sich auch Cook, als er zum ersten Mal in einem lichtdurchfluteten Restaurant auf Rhonda trifft. Fortan sind es Sänger_innen aller Couleur, die zur Stimme von Song to Song avancieren.

Durfte eben noch Die Antwoord die Menge auf einem Musikfestival zum Toben bringen, erklingt später Patti Smiths Stimme, ehe Lykke Li zwei der wundervollsten Montagen dieses Kinojahres untermalt. Der Vielfalt sind in Song to Song keine Grenzen gesetzt und so verbrüdern sich auf musikalischer Ebene ebenfalls Georg Friedrich Händel, Claude Debussys und Maurice Ravel, während Gustav Mahler einen mitreißenden Sturm heraufbeschwört, der von Arvo Pärts Kompositionen wiederum mit transzendenter Ruhe abgefangen wird. Terrence Malick versteht es wie kaum ein zweiter Regisseur unserer Zeit, genau die Ekstase einzufangen, die aus dem Zusammenspiel von Musik und bewegten Bildern entsteht. Wohin der Film am Ende führt, ist dabei völlig nebensächlich. Entscheidend ist das Erlebnis auf dem Weg zu einem etwaigen Ende – wobei Ende im Fall von Terrence Malicks aktueller Schaffensphase zu einem dehnbaren Begriff geworden ist.

Seit To the Wonder erzählt er eine epische Geschichte, die niemals enden wird und mindestens genauso allumfassend ist, wie seine vorherigen Werke, die sich nie exklusiv um das kleine, sondern sehr selbstbewusst sogar um das große Bild mit allen damit einhergehenden Fragen drehten. Terrence Malick stellt existenzialistische Fragen, ohne selbige je zu formulieren – es passiert alleine durch die sorgfältigen Kompositionen seiner Werke, die in erster Linie bestrebt sind, eine ganz besondere Kinosprache zu finden, die komplett losgelöst von allen narrativen Konventionen ist. Zwar mag Song to Song in dieser Hinsicht wenig Innovationen mit sich bringen und gerade in seinen Bewegungsabläufen überaus vertraut wirken – poetisch ist dieser Film dennoch wie kaum ein zweiter. Niemals herrscht hier Stillstand, denn jedes Arrangement aus Natur, Menschen und Bauten befindet sich bloß für den Bruchteil einer Sekunde in Harmonie, ehe das Chaos ausbricht und sich die Szenenabläufe von alleine neu anordnen.

Song to Song © Studiocanal