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Soul – Kritik

Joe Gardner (Jamie Foxx) glaubt, seine Bestimmung gefunden zu haben. Wenn er in einem Jazz-Club auf der Bühne am Klavier sitzt, vergisst er die Welt um sich herum. Der Raum löst sich auf, die Menschen verschwinden und es existiert nur noch die Musik. Ein magischer Augenblick, der jedoch nur von kurzer Dauer ist. Die meiste Zeit seines Lebens blickt Joe als Musiklehrer in die Augen unmotivierter Schüler*innen, die ihm eine Kakophonie der schlechten Laune entgegen schleudern. Sollte er jetzt sterben, hätte Joe sein Leben verschwendet. Ein flüchtiger Gedanke, der wenige Minuten Realität ist.

Soul, das jüngste Werk aus dem Hause Pixar, beginnt mit einer unerwartet düsteren Wendung. So farbenfroh das New York in der Eröffnungssequenz wirkt: Plötzlich fällt Joe in ein tiefes Loch und landet in purer Finsternis. Orientierungslos tastet er sich auf an einer Fläche entlang, die sich nach und nach als Brücke ins Jenseits offenbart. Am Horizont pulsiert eine leuchtende Kugel, die sich aus den Lichtern Verstorbener zusammensetzt. Alles ist ein Strom, eine Bewegung. Joe ist allerdings nicht bereit, sein Schicksal anzunehmen. Denn eigentlich hat er heute Abend einen wichtigen Auftritt.

Mit der berühmten Jazz-Ikone Dorothea Williams (Angela Bassett) will Joe im Half Note spielen. Es ist eine der Chancen, auf die er sein ganzes Leben gewartet hat, ein Ausweg nach all den frustrierenden Unterrichtsstunden. Doch nun wartet der Tod – eine denkbar düstere Ausgangssituation für einen Animationsfilm, der auf dem Poster mit einer niedlichen Katze lockt. Regisseur Pete Docter findet in diesen vermeintlichen Widersprüchen vor allem eines: eine Chance. Eine Chance, um mit einer verblüffenden Filmsprache über das Leben, den Tod und die rätselhaften Dinge dazwischen nachzudenken.

Nach Pixars enttäuschendem Fantasyfilm Onward versteht sich Soul als geistiger Nachfolger von Inside Out, der uns vor fünf Jahren in den Kopf eines kleinen Mädchens namens Riley entführte. Die Protagonist*innen des Films waren allerdings ihre Gefühle. Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel mussten sich trotz offensichtlicher Differenzen zusammenschließen, um ein Abenteuer in einer fremden und zugleich zutiefst vertrauten Welt zu überstehen. Soul folgt einem ähnlichen Muster und übersetzt komplexe Erfahrungen in eine animierte Körpertauschkomödie.

Joe begegnet auf seiner ungewollte Reise ins Jenseits der Seele 22 (Tina Fey), die sich nicht mit dem Gedanken an ein Leben auf der Erde anfreunden kann. Sprich: Beide Figuren begehren das, was die jeweils andere am liebsten von sich stoßen will. Aus diesem Konflikt schöpft Soul tiefgründige Gedanken und jede Menge Humor. Besonders wenn der Film zwischen dem Irdischen und dem Metaphysischen hin- und herspringt, wechselt Pete Doctor so munter die Welten, als hätte er Monsters, Inc. nie hinter sich gelassen. Besonders die Musik von Trent Reznor und Atticus Ross ermöglicht dynamische Übergänge.

Dazu kommen erwartungsgemäß fantastische Animationen. Die Spaziergänge durch New York City zeugen von einem Detailreichtum, der Lust macht, sich selbst in der Stadt zu verirren. Noch mehr begeistert Soul aber, wenn die vertraute Formen ins Abstrakte übergehen. Mitunter nähert sich Pete Docter den erstaunlichen Filmen von Don Hertzfeldt an, die ebenfalls die abstrakten Räume des Animationsfilms nutzen, um die großen und kleinen Fragen des Lebens zu stellen. Soul fällt am Ende zwar eine Spur konventioneller aus, doch die Ansätze sind erkennbar und inspirieren wie die besten Pixar-Filme.

Einfühlsam und kreativ erzählt Pete Docter die Geschichte von Joe Gardner, der vielleicht schon alles besitzt, was er sich je erträumt hat. Ihm fehlt nur die Perspektive. Die Antworten, die Soul gibt, gehören sicherlich nicht zur Stärke des Films. Gerade im Finale geht das Drehbuch in einen Modus, an dem die Ereignisse überraschend schnell und einfach abgewickelt werden. Umso beeindruckender ist die Klarheit, mit der Soul die Fragen formuliert, die sich Joe in seinem Unglück stellt. Und das ist mehr wert als jede Antwort, die der Film geben kann.

Beitragsbild: Soul © Walt Disney Pictures