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Spencer – Kritik

Die Tradition bringt die britische Königsfamilie zur Weihnachtszeit im Sandringham House in Norfolk zusammen. Mächtig ragt der Landsitz aus der Umgebung. Trotzdem findet Prinzessin Diana (Kristen Stewart) den Weg nicht. Sie hat die Reise ohne Chauffeur angetreten und stellt sich gegen die einengenden Rituale, der sich die Menschen um sie herum unterwerfen. Der Preis dafür ist der Status einer Außenseiterin und Orientierungslosigkeit: Diana irrt verloren durch die vernebelte Landschaft, bis ihr ein Geist aus der Vergangenheit in Form einer Vogelscheuche den Weg leitet.

Spencer ist kein gewöhnliches Biopic. Und von Regisseur Pablo Larraín wäre auch nichts anderes zu erwarten gewesen. Im Lauf seiner Karriere hat er schon mehrmals die Lebensläufe von spannenden Persönlichkeiten der Geschichte aufgegriffen, jedoch nie, um sich mit den konventionellen Erzählmustern einer Filmbiografie an ihrer Vita abzuarbeiten. Larraín sucht nach einnehmenden Momentaufnahmen, wie zum Beispiel in dem herausragenden Jackie mit Natalie Portman, der eine Woche nach dem Mord an John F. Kennedy einsetzt und die Geschichte von Jacqueline Kennedy erzählt.

Auch Spencer ist eine dieser Momentaufnahmen, sogar eine Spur radikaler als Larraíns vorherige Werke. Der gesamte Film spielt fast ausschließlich im Sandringham House und den umliegenden Feldern. Ein riesiges Labyrinth voller prunkvoll eingerichteter Räume und langen Gängen, die ins Nirgendwo führen: Larraín inszeniert das Anwesen als bedrohliches Ungeheuer, das mit strenger Geometrie einschüchtert und Diana immer weiter in den Abgrund treibt. Ein schauerhafter Ort, der trotz aller Lichter kalt und ungemütlich wirkt. Eine Festung der Einsamkeit. Diana droht geradezu, an ihrer Isolation zu ersticken.

Und dennoch ist sie nie allein, allerdings nicht im Sinne von Geborgenheit und Zuflucht. Sie wird verfolgt und beobachtet. Belauscht und überwacht. Die Wände haben Ohren und selbst die Fenster – einer der wenigen Auswege aus den erstickenden Räumen – werden verschlossen, die Vorhänge zugenäht. Jonny Greenwoods exzellenter Score untermauert die unbehagliche Atmosphäre des Films und wirft Diana mit weiteren Dissonanzen aus der Bahn, ähnlich wie der allgegenwärtige Alistair Gregory (Timothy Spall), der mit Adleraugen als unheimliches Gewissen der Krone über das Grundstück wacht.

Larraín, der hier mit einem Drehbuch von Steven Knight arbeitet, ist unheimlich gut darin, die feierliche Zusammenkunft in einen klaustrophobischen Albtraum zu verwandeln, der von Minute zu Minute schlimmer wird. Besonders wenn Diana mit anderen Mitgliedern des Königshauses am Tisch sitzt, tut sich ein gewaltiger Graben auf und alles fühlt sich befremdlich an. Jede Regung, sei sie noch so unscheinbar, wird wie unter einem Mikroskop analysiert und bewertet. Claire Mathons fiebrige Kamera treibt die Protagonistin dieser schauderhaften Tour de Force aber nicht nur in die Enge, sondern erzählt ebenso von ihren Ausbrüchen.

Sally Hawkins und Sean Harris spielen Figuren, die für Diana zur Fluchtmöglichkeit werden. Am meisten in Erinnerung bleiben aber die Szenen mit ihren Kindern, da der Film hier eine Ebene tiefer in ihre Zerrissenheit eindringt. Kristen Stewart verschmilzt in diesen Momenten komplett mit ihrer Figur und baut eine innere Spannung auf, die sich am Ende in einer der erlösendsten Abschlussmontagen des Kinojahres entlädt. Wo sich Spencer in seiner Gestaltung viele Gemeinsamkeiten mit der Strenge des königlichen Hofes teilt, offenbart sich Stewarts Performance als unbändige Kraft.

Beitragsbild: Spencer © DCM