Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Tenet – Kritik

Tenet ist ein gewaltiger Film. Ein Film, der dröhnt und schnaubt. Ein Film, der – ist er erst einmal entfesselt – kein Halten mehr kennt. Ein Film, der mit einer solchen Kraft die große Leinwand erobert, dass man sich gar fürchten muss, er reißt sie mit der nächsten Bewegung komplett ein. Brutal und aggressiv schreitet dieses Action-Epos voran, das sich als futuristischer Agentenfilm versteht, der schließlich in einem Kriegsschauplatz mündet, wie er Christopher Nolans letztem Werk, dem kompromisslosen Dunkirk, gar nicht so unähnlich ist. Auch Tenet geht keine Kompromisse ein und lässt uns erschöpft im Kinosaal zurück. Die Stille nach dem Abspann wirkt geradezu surreal.

Dabei beginnt alles ganz ruhig und leise. Das Orchester befindet sich noch in einer losen Formation, die Instrumente werden gestimmt – nicht nur im Film, sondern auch im Kino. Christopher Nolans neuer Film erhält in dieser Zeit abseits jeglicher geplanten Intention eine weitere Bedeutung: Es ist der erste Hollywood-Blockbuster, der seit dem Corona-Lockdown in die Kinos kommt. Nervosität liegt in der Luft und niemand weiß, was das Kommende mit sich bringt. Fraglos gibt es vertraute Bestandteile, doch viel reizvoller ist die Ungewissheit, die sich zu Beginn auch in einem Opernhaus ausbreitet. Das Publikum ist gespannt, das Orchester vorbereitet – die ersten Harmonien erklingen.

Doch dann erschüttert ein lauter Knall den Saal, der gar nicht mehr aufhören will, das Trommelfell zum Vibrieren zu bringen. Während vermummte Gestalten den Raum stürmen, hämmert Ludwig Göranssons Filmmusik mit angsteinflößender Härte und bohrt sich in den Kopf. Die Gäste im Opernhaus werden mit einem Schlafgas betäubt – uns Zuschauer fordert Tenet in den zweieinhalb Stunden aber kontinuierlich heraus. Keine Pausen zum Verschnaufen, zum Luftholen, zum Durchatmen: Dieser Film rast mit seiner geballten Kraft durch die graue, kalte Welt, die er erschafft – und das sowohl vorwärts wie rückwärts. Denn das Spiel mit der Zeit hat Christopher Nolan nicht vergessen, geschweige denn verlernt.

Mit verschiedenen Zeitebenen und unzuverlässigen Erzählern hat es angefangen, ehe die Filme des britischen Regisseurs in der Vergangenheit immer wagemutiger und experimenteller wurden, was das Spiel mit der Zeit angeht. In Inception verzerren die verschiedenen Traumebenen die Wahrnehmung und das Erleben von Zeit um Stunden und Minuten, in Interstellar sind es Jahre, gar Dekaden die im Angesicht eines Wurmlochs vergehen. Im Fall von Tenet bewegt sich die Vergangenheit auf die Zukunft und die Zukunft auf die Vergangenheit zu. Die Ruinen des kommenden Kriegs bilden den Schauplatz der Gegenwart, während sich die Zeit wie eine Kneifzange auf- und zubewegt.

Die Figuren in Tenet sind Gefangene in einem Krieg, der im Schatten, gewissermaßen auch im Jenseits, geführt wird. Es gibt allerdings einen Protagonist (John David Washington), der uns durch den Nebel führt, auch wenn er die Regeln des neuen Spiels genauso wie wir Zuschauer gerade erst kennenlernt. Ein Professional ist er trotzdem. Kein Zögern, kein Zucken, kein Blinzeln: Genauso schnell wie sich Tenet als Film bewegt, muss er von einem spektakulären Set Piece zum nächsten hechten, meist nur mit den notwendigsten Informationen ausgestattet. Inversion – also Umkehrung – ist einer der Begriffe, die regelmäßig fallen, um das Verhältnis und den Umgang mit der Zeit zu verdeutlichen.

Mit unverschämter Coolness spult Robert Pattinson als John David Washingtons Verbündeter die Fachbegriffe ab, die das Regelwerk von Tenet erklären, schlussendlich aber bloß Wegweiser sind, von denen man sich leiten lassen kann. Nicht nur ein kompliziertes Konstrukt hat sich Christopher Nolan für sein bildgewaltiges Monstrum ausgedacht, sondern auch ein emotionales, das gleichermaßen mitreißt wie erschüttert. Da offenbart sich Tenet plötzlich nicht länger als ein ausschließlich polternder, sondern auch ein tragischer, mitunter gar melancholischer Film, der vor allem in Elizabeth Debickis Figur eine zerreißende Einsamkeit voller Trauer, Wut und Verzweiflung entdeckt.

Debicki spielt die Frau eines russischen Oligarchen, der von Kenneth Branagh zuerst leise als unheimlicher Bösewicht und schließlich als abscheuliches Monster zum Leben erweckt wird. Aus seinen Fängen zu entkommen, scheint unmöglich: Er besitzt mehr Macht, als sich die meisten Menschen überhaupt vorstellen können und ist seinen Gegenspielern stets drei Schritte voraus. Er will kontrollieren und was er nicht kontrollieren kann, das reißt er mit sich in den Abgrund. Riesig ist dieser Abgrund – so riesig, dass er die gesamte Menschheit verschlingen könnte. Und dennoch gibt es eine Frau, die einfach so in die Freiheit springt, anstelle in der Dunkelheit unterzugehen. Ihr Geheimnis behält sie aber für sich.

Es ist einer der faszinierendsten Momente, die Kameramann Hoyte van Hoytema einfängt, gerade auch, weil es der unterkühlten Agentenwelt widerspricht, die den Rest des Films dominiert. Vor der paradiesischen Kulisse eines James Bond-Films werden wir Zeugen von Missbrauch und Unterdrückung, aber eben auch jenem Fluchtmoment, der kurz aufblitzt und danach fast in Vergessenheit gerät, ehe er in der zweiten Hälfte des Film wieder an Bedeutung gewinnt. Tenet ist hier gleichzeitig als streng konstruierter wie ein mit Gefühlen überwältigender Film: Sicherlich verklausuliert, aber am Ende daran interessiert, zu den Konflikten seiner Figuren vorzudringen, egal, wie abgeklärt oder verloren sie sich durchs Zwielicht bewegen.

Tenet © Warner Bros.