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The Big Sick – Kritik

„I wonder who that could be“, ertönt Sharmeens (Zenobia Shroff) Stimme beim Mittagessen, als das gemütliche Beisammensein ihrer Familie von der Türklingel unterbrochen wird. Kaum hat die Dame des Hauses ihren Platz verlassen, um nachzusehen, um welch unangekündigten Gast es sich handeln könnte, verdrehen die übrigen Familienmitglieder am Tisch mehr innerlich als äußerlich die Augen, ehe routiniert das nachfolgende, unlängst bekannte Prozedere vorhergesagt wird. Besonders Kumail (Kumail Nanjiani) würde am liebsten schreiend die Wohnung verlassen, doch für seine Eltern, die viele Lasten auf sich genommen haben, um ihm und seinen Bruder ein Leben in den USA zu ermöglichen, nachdem sie aus Pakistan ausgewandert sind, lässt er sich auf die Scharade ein und bleibt artig am Tisch sitzen.

Kumail soll verheiratet werden. Die arrangierte Ehe mit einer pakistanischen Frau genießt neben dem Islam die oberste Priorität in seinem Elternhaus. Was folgt, ist eine unangenehm inszenierte Begegnung nach der anderen – ganz im Gegensatz zum Ablauf der Ereignisse von The Big Sick. Nach einem Drehbuch von Emily V. Gordon und Hauptdarsteller Kumail Nanjiani, das auf der eigenen, gemeinsamen Geschichte der beiden Autoren basiert, schafft Regisseur Michael Showalter einen Film, der federleicht auf dem schmalen Grat zwischen sorglosem Feel-Good-Movie und ernstem Drama balanciert und dabei im Gegensatz zu sämtlichen Bemühungen von Kumails Mutter alles andere als gewollt und erzwungen wirkt. Selten waren die Figuren und ihre Beziehungen in einer romantischen Tragikomödien so greifbar wie in The Big Sick. Alles wirkt echt, obwohl sich niemand darum bemüht.

The Big Sick folgt keiner Konstruktion und erst recht nicht dem vermeintlich überraschendem Klingeln an der Haustür. Stattdessen passiert das Leben, ohne, dass die Protagonisten überhaupt wirklich entscheiden können, wohin die Handlung geht. Als Kumail nach einem seiner Stand-up-Auftritte in einem angesagten Club in Chicago auf Emily (Zoe Kazan) trifft, ahnt er noch nicht, dass er die nächsten Wochen und Monate am liebsten genau mit jeder Frau verbringen wird, die eben noch seinen Gig sabotierte, indem sie lauthals ihre Begeisterung hinsichtlich des Programms preisgab. Schnell entsteht mehr als eine vertraute Freundschaft, doch dann folgt der groß Bruch, da Kumail gleichermaßen aus Angst wie Respekt vor seiner Familie die Beziehung gegenüber seinen Eltern verheimlicht, und die beiden verlieren sich.

Erst, als Emily aufgrund einer aggressiven Infektion in ein künstliches Koma versetzt wird, ändert sich der Status quo: Kumail ist da – mit aller Aufrichtigkeit, die in einer solchen Situation möglich ist. Beth (Holly Hunter) und Terry (Ray Romano), Emilys Eltern, versuchen ihn jedoch sofort wieder aus dem Bild zu entfernen. Doch dann macht The Big Sick etwas Erstaunliches und führt die Figuren, die sich scheinbar nichts zu sagen haben, auf überaus angenehme Weise zusammen. Es ist ein langsames, behutsames Kennenlernen, das die anfängliche Liebesgeschichte um neue Facetten, ja, geradezu ganze Dimensionen erweitert und dabei vor allem nicht vor der Komplexität der verschiedenen Gefühlszustände zurückschreckt. Jede Figur kämpft mit ihren eigenen Dämonen, sodass selbst unscheinbare Randnotizen entscheidende Akzente hinterlassen.

Micheal Showalter führt sein tolles Ensemble gekonnt zusammen und bringt selbst für die Nebenfiguren genügend Aufmerksamkeit mit, um vollwertige Charaktere zu entwickeln. The Big Sick strahlt ein bemerkenswertes Gefühl von Ausgeglichenheit aus und erweckt genau deswegen den Eindruck, richtig in die Tiefe zu gehen. Nicht nur die für die Dramaturgie notwendigen Highlights erfahren ihren großen Augenblick im Scheinwerfer Licht. Nein, auch unspektakulären Entwicklungen dürfen sich frei entfalten und auf der Leinwand atmen, wodurch der Film ebenjene Tiefe erhält. Die Verbundenheit zu jeder Figur schafft einen mitreißenden Gefühlsstrom, der gute Laune provoziert, während er gleichzeitig in unendlicher Traurigkeit versinkt. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass die Begegnungen und Gespräche eines Films so berührend auch noch lange nach dem Abspann nachhallen.

The Big Sick © Weltkino Filmverleih