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The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 – Kritik

Ein Funken in der Nacht, der den Gedanken zur Revolution entfacht: Catching Fire fungierte nach The Hunger Games als konsequenter Ausbau des Exposition-Segments in minimal variierter Struktur. Erneut standen die Hungerspiele im Mittelpunkt der Geschehnisse. Ein Rangen, um dem vermeintlichen Credo „Panem et circenses“ Tribut zu zollen. Ein Töten, um die Veränderung des Status quos der Dystopie zu verhindern respektive aufzuschieben. Dass Veränderung – nicht zuletzt aufgrund der unerbittlichen Vergänglichkeit durch Zeit – eine unvermeidbare Angelegenheit ist, das wusste sicherlich aus President Snow (Donald Sutherland), als er wissentlich in die Kamera grinste. Auch jetzt, wo der Spotttölpel zum Symbol der Revolution (sprich Veränderung) avanciert ist, bleibt dem Mächtigen eine zufriedene Erscheinung nicht abzuschreiben, wenn er Katniss Everdeens (Jennifer Lawrence) Angesicht über einen der gigantischen Bildschirme im Kapitol flimmern sieht. Es ist die Zufriedenheit eines Puppenspielers, für den das vorherrschende Chaos im schlimmsten Fall ein verschmerzbarer Kollateralschaden ist. President Snow scheint eine Schachpartie zu gewinnen, die er längst durchkalkuliert, wenn nicht sogar in ähnlicher Form bereits durchgespielt hat.

Doch dann gibt es diesen Augenblick, wenn der Funke dem manipulativen (Medien)Spektakel entkommt und wahrhaftig überspringt. So wahrhaftig, dass er nicht mehr zu löschen, nicht mehr zu leugnen ist. Menschen sterben, um ein Zeichen zu setzen – seien es Kriminelle, die einen zur Energieversorgung essentiellen Damm sprengen, oder Radikale, die sich förmlich über ihre Peiniger hinwegsetzen und selbige mittels Bombardement unter sich begraben. Natürlich folgt auf jede dieser Handlungen ein Rückschlag, um bestehende Machtverhältnisse zu stabilisieren und zu korrigieren. Dennoch gelangt das unerbittliche Wüten des überlegenen an jenen Punkt, an dem der Funke außer Kontrolle gerät und sich nicht mehr löschen lässt. Und genau diesen Moment bezeugt Mockingjay – Part 1 in rauer Schönheit, ohne die Gravitas der erschreckenden Zukunftsvision zu vergessen. Die Geschichte bricht aus der Arena aus, lässt die Taubheit des Voyeurismus hinter sich zurück und fordert stattdessen aktive Entscheidungen. Kein Mensch im Staate Panem kann die vonstattengehenden Ereignisse ignorieren. Sowohl in District 1 als auch in District 13 bebt die Erde. Die Trümmer der alten Welt zerschmettern den Glanz des unangetasteten Utopias. Das friedvolle Kalkül zerbricht und verleugnete Unterdrückung zeigt ihr hässliches Antlitz. Eine Illusion fällt in sich zusammen – allerdings auf beiden Seiten.

Während President Snow automatisch zur Inkarnation allen Übels mutiert, blicken Peter Craig und Danny Strong, der Suzanne Collins‚ abschließendes Segment der zugrundeliegenden Literaturvorlage adaptieren, über ein schwarzweißes Konfliktgefüge hinaus: Das Übel ist nicht nur auf Seiten des offensichtlichen Gegners zu finden. Auch in den eigenen Reihen der Rebellion schlummert dieses gewisse Etwas an Misstrauen. Als Katniss Everdeen nach ihrer Errettung aus dem Löwenkäfig in einer gewaltigen Untergrundanlage Gleichgesinnter erwacht, breitet sich gewiss kein Gefühl der Erleichterung aus. Vielmehr drängt sich die Erkenntnis auf, manipuliert, instrumentalisiert und missbraucht worden zu sein. President Coin (Julianne Moore) und Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) mögen verständnisvoll sowie vertraulich die Situation (im Auftrag einer weiteren Exposition) erläutern. Was sich in Wahrheit hinter ihren Absichten verbirgt, bleibt jedoch ungeklärt. Den unangenehmen Schleier aufgetischter Halbwahrheiten können auch sie nicht verbergen. Die politischen Untertöne in Mockingjay – Part 1 sind also äußerst düstere, greifbare und dominanter denn je. Francis Lawrences zweiter Franchise-Eintrag distanziert sich regelrecht vom vermeintlichen Tumblr-Service der Filmreihe und dringt entschlossen zum ungeschminkten Kern des Survival-Abenteuers vor, selbst wenn ihm ein Minimum an Poesie gegenüber dem Vorgänger dabei abhanden kommt.

Im Gegensatz zum zweigeteilten Finale der Twilight-Saga investiert Francis Lawrence in die Möglichkeiten ausgedehnter Erzählung geschickt, beinahe so wie es Regie-Kollege David Yates im Rahmen des umfangreichen Abschluss der ursprünglichen Harry Potter-Heptalogie vorgemacht hat. Der Anfang vom Ende erscheint auf den ersten Blick als vergleichsweise unspektakuläre Durststrecke vor dem großen Finale. Tatsächlich verbirgt sich in dieser Ruhe vor dem Sturm der notwendige Tiefgang, um die bevorstehende Eskalation ordentlich vorzubereiten. Wenngleich Francis Lawrences Inszenierung nicht mit der lebendigen Virtuosität eines David Yates mithalten kann, nimmt Mockingjay – Part 1 mit jeder zusätzlichen Minute bodenständige Form an, um sowohl Vorheriges als auch Nachfolgendes zu sinnvoll zu verketten und ein rundes Arrangement schaffen. Auch in puncto Größenordnung legt das vorletzte Kapitel der Hungerspiele zu. Entgegen der repetitiven Mechanismen eines Sequels verwandelt sich Mockingjay – Part 1 in eine logische Schlussfolgerung, die sich selbstbewusst und zielstrebig in ihrer Versuchsanordnung austobt, anstelle dem Kreislauf ewiger Wiederkehr zu frönen. Das ist natürlich super – genauso wie Jennifer Lawrences bärenstarke Performance als unvergleichbare Katniss Everdeen!

The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 © Studiocanal