Obwohl Tomas Alfredsons Karriere als nächstes Regie-Wunder spätestens nach dem Meisterwerk Tinker Tailor Soldier Spy nichts mehr im Wege stand, hatte es der schwedische Regisseur alles andere als eilig. Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass er sich das letzte Mal mit einem Werk auf der großen Leinwand meldete und in Form bewegter Bilder eine erschütternde Geschichte erzählte, die nicht nur mit ihrer kühlen Inszenierung verblüffte, sondern ebenfalls ein unglaubliches feines, elegantes Gespür von Präzision transportierte, wie es im Kino seitdem in diesem eindringlichen Ausmaß nicht mehr zu sehen war. Ausgerechnet eine Jo Nesbø-Verfilmung sollte es sein, die Tomas Alfredson wieder dazu bewegte, auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen. The Snowman entführt in die eisige Kälte Oslos und glänzt darüber hinaus mit erhabenen Aufnahmen norwegischer Landstriche, die geradezu prädestiniert sind, um von Tomas Alfredson entdeckt zu werden. Doch dann zerbricht der Film in tausend Einzelteile und offenbart sich als eine der größten Enttäuschungen des Kinojahres.
Bereits im Vorfeld mutete Tomas Alfredons Engagement bei The Snowman wie die Verschwendung eines der interessanten Regie-Talente der aktuellen Filmlandschaft an. Gleichzeitig war die Neugier geweckt: Was, wenn der Regisseur, der sowohl Vampire als auch Agenten aus bisher ungeahnten Blickwinkeln beobachtete, einen Dreh gefunden hat, der selbst den konventionellsten Serienkiller-Plot in eine aufregende Hetzjagd verwandelt? So unattraktiv Jo Nesbøs Vorlage inklusive ihres Protagonisten Harry Hole (Michael Fassbender) wirken mag: Schon David Fincher vermochte es, vergleichbar inspirationslose Stoffe in atemberaubende Albträume zu verwandeln, die sich schwindelerregend in menschlichen Abgründen suhlten und dabei unverkennbar die Handschrift des Regisseurs trugen. Auch The Snowman gestaltet sich hinsichtlich der Inszenierung zweifelsohne als ein Produkt aus dem Kopf von Tomas Alfredson: Distanzierte Bilder, erlesene Einstellung und eine stechende Kälte ziehen sich durch die Aufnahmen.
In seinen besten Momenten spielt The Snowman hervorragend mit der Tiefe des Raumes, lässt Spiegelungen in Fenstern zum Leben erwachen und verkennt dabei keinesfalls das atmosphärisch beklemmende Potential, das in der schneeweißen Umgebung steckt. Sobald die einzelnen Elemente aber mechanisch ineinandergreifen, verwandelt sich die Suche nach einen Serienkiller, der sich vorzugsweise mit der förmliche Anrede „Mr. Police“ an Harry Hole wendet und seine Morde mit finster dreinblickenden Schneemännern illustriert, zur unausgegorenen Angelegenheit. Tomas Alfredsons eigenen Aussagen zufolge fanden die Dreharbeiten unter hohem Zeitdruck und ohne komplettes Drehbuch statt, was zur Folge hatte, dass im Schneideraum entscheidendes Material fehlte. Zwar wurde mit Martin Scorseses Stamm-Cutterin Thelma Schoonmaker eine der wohl begnadetsten Fachkräfte engagiert, um Claire Simpson im Schnitt unter die Arme zu greifen. Schlussendlich kann aber auch sie das Chaos, den Scherbenhaufen von The Snowman nicht kaschieren.
Zu viele Handlungsstränge verlaufen sich im Nichts der Eislandschaft, werden gar nicht erst ordentlich etabliert oder pendeln dermaßen passiv am Seitenrand mit, dass es unfreiwillig amüsiert, wenn sich die Figur eines längst wieder vergessenen Nebenschauplatzes zu Wort meldet. Zwar will sich The Snowman anfangs kaum etwas von diesem Durcheinander anmerken, sobald die Geschehnisse allerdings im finalen Akt kulminieren, entblößt sich der Film auf äußerst unangenehme Weise, was ihn unter bestimmten Gesichtspunkten allerdings auch zu einer faszinierenden Dokumentation des Scheiterns werden lässt. The Snowman steckt voller fragwürdiger Entscheidungen, angefangen bei seiner planlosen Figurenpolitik bis hin zum nichtssagenden Handlungsbogen. Am Ende soll gleichermaßen ein packendes Epos wie die Schneeflocken im Abspann beschworen werden. Vor allem plagt aber ein Gedanke: Wie konnte dieser Film bei solch talentierten Menschen vor und hinter der Kamera nur so danebengehen?
The Snowman © Universal Pictures
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