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Thor: Ragnarok – Kritik

Was wiegt der Weltuntergang? Nicht viel, wenn es nach dem neusten Film aus dem Marvel Cinematic Universe geht. Thor: Ragnarok beschwört das Ende aller Tage, ohne dem Gewicht dieses verheerenden Ereignisses gerecht zu werden. Ein ärgerliches Missverständnis, das das dritte Soloabenteuer des titelgebenden Donnergotts um seine emotionale Tiefe bringt und als kurzweilige Achterbahnfahrt der guten Laune enden lässt. Damit einhergehend existiert ein großes Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Elementen der tragischen Geschichte, die sich von einer schmerzlichen Familientragödie in göttlichen Sphären bis zum munteren Gladiatorenkampf auf einem von Müllbergen überhäuften Planeten erstreckt. Regisseur Taika Waititi, der sich vor allem mit eigenwilligen Komödien wie What We Do in the Shadows und Hunt for the Wilderpeople einen Namen gemacht hat, trägt mit seinem MCU-Debüt viele freche Ideen ins genannte Universum. Bei all den tollen Figuren und faszinierenden Schauplätzen gelingt ihm jedoch kaum ein nachhaltiger Augenblick, der die voreiligen Pointen überlebt.

Gegen Humor sei an dieser Stelle überhaupt kein Widerspruch eingelegt. Seit Iron Man vor knapp einer Dekade zum ersten Mal die Welt rettete, sind die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Der beherzte Tonfall ist unlängst zum festen Bestandteil der MCU-Identität geworden und diente bis vor Kurzem als willkommene Trennwand zum aktuellen DC-Katalog. Spätestens seit Guardians of the Galaxy und dessen Nachfolger Guardians of the Galaxy Vol. 2 dient der Humor aber nicht bloß der Auflockerung, sondern hat in einer provozierten Coolness ganze Handlungsstränge übernommen. Thor: Ragnarok setzt diesen Trend in eine für die Erzählung ungesunde Richtung fort, worunter insbesondere der clevere Einschlag des sonst so detailverliebten Worldbuildings leidet. Wenn etwa Bösewichtin Hera (genüsslich: Cate Blanchett) im – wörtlichen – Alleingang sämtliche Stationen des MCU Revue passieren lässt und voller Missgunst ihre herablassende Einstellung hinsichtlich der bisherigen Errungenschaften mitteilt, ist Taika Waititi ein hervorragender Moment glückt, der sich seiner Grenzen allerdings nicht bewusst ist und anschließend im Nirgendwo verläuft.

Thor: Ragnarok fehlt es an Konsequenz, einer altbekannten MCU-Schwäche, die jedoch selten ratloser gemacht hat als in diesem Fall. Da Wiedersehen von Thor (hingebungsvoller denn je: Chris Hemsworth) und seinen hinterlistigen Halbbruder Loki (routiniert top: Tom Hiddleston) offenbart zwar unzählige Augenblicke, um die Dynamik der Schauspieler glänzend zum Vorschein zu bringen, verwehrt allerdings jeden konkreten Kommentar, wenn es darum geht, deren Beziehung einzuordnen. Im Großen spiegelt sich dieses unermüdliche Augenzwinkern, diese entkräftende Ironie unangenehm in allen Sequenzen wieder, in der (Menschen-)Leben auf dem Spiel stehen. Gleich zwei Mal werden Figuren eingeführt, indem sie eine nicht näher definierte Masse an Lebewesen abschlachten, ohne dass die drastische Handlung je in Relation gesetzt wird – als ginge es ausschließlich um den coolen Move, die lässige Pose, die fälschlicherweise als Charakterisierung verstanden wird. Diese Abstumpfung führt zu einer schreienden Leere, in der  das Streben nach dem nächsten Adrenalinkick von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.

Wenngleich sich vergleichbare Ensemble-lastige MCU-Einträge wie Captain America: Civil War ebenfalls um den letzten Schritt drücken, finden sich schlussendlich die verschiedenen Ebenen im Einklang, sodass die (Freuden-)Tränen stets im Geiste der erzählten Geschichte stehen. Der Irrtum von Thor: Ragnarok verdeutlicht sich in seiner Reduzierung auf übertriebene Spaß-Einlagen, die all die abgefahrenen Geschehnisse mit einem Scherz kommentieren müssen und ihnen dabei die Magie rauben. Gerade, wenn die Handlung den heruntergekommenen Planeten Sakaar im zweiten Akt als wichtigsten Schauplatz auserwählt, sprüht Thor: Ragnarok vor aufregendem Entdeckergeist. Als wäre ein Arcade-Game aus den 1980er Jahren in einer futuristischen Müllhalde zum Leben erwacht, trifft Thor in einem Design-Tohuwabohu nicht nur auf den Hulk (mit gewisser Zerbrechlichkeit: Mark Ruffalo), sondern macht ebenfalls die Bekanntschaft mit der toughen Valkyrie (mega: Tessa Thompson) und dem durchgeknallten Grandmaster (künstlich: Jeff Goldblum). Ein herrliches Figurengespann, wie es besser kaum besetzt sein könnte, trotzdem oft gegen die Gag-Sensation des Films anspielen muss.

So viel Freude und Begeisterung in den Dialogen transportiert wird, am Ende fehlt Thor: Ragnarok das Bekenntnis zur eigenen Uncoolness. Kenneth Branagh erkannte seinerzeit die Shakespeare’sche Dimension des zentralen Götter-Dramas im Gewand eines modernen Superheldenfilms. Nachdem das erste Thor-Sequel diese komplett verkannte, gibt es in Taika Waititis Interpretation zumindest wieder deutliche Anzeichen, die am Ausbau der – durchaus abgründigen – Mythologie interessiert sind. Sobald es aber darum geht, wirklich große Bilder auf die Leinwand zu werfen, fehlt Thor: Ragnarok die Kraft in den Farben und der Wille zur vertiefenden Auseinandersetzung. Was bleibt, ist ein überaus amüsanter Franchise-Beitrag, der aufgeregt wie ein kleines Kind durch die Ausstellung der eigenen Errungenschaften rennt, ohne sich eines der präsentierten Kunstwerke richtig anzuschauen. Nach guten zwei Stunden existieren zahlreiche Eindrücke und das Gefühl, hervorragend unterhalten worden zu sein. Dennoch überwiegt im Nachhinein der Gedanke, den entscheidenden Teil der Veranstaltung verpasst zu haben.

Thor: Ragnarok © Walt Disney Studios Motion Pictures