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Titane – Kritik

Es ist dunkel. Es poltert. Es vibriert. Rohre schlängeln sich über eine graue Fläche. Von Farben fehlt jegliche Spur. Wir befinden uns an der Unterseite eines Autos, die der Oberfläche einer dystopischen, von Maschinen beherrschten Landschaft gleicht. Ein Abgrund in rasender Geschwindigkeit: Alles, was wir sehen, wirkt bedrohlich, befremdlich und gefährlich. Die Vibration wird stärker, etwas gerät außer Kontrolle. Das Auto fährt weiter. Rastlos ist nicht der Fahrer, sondern das Mädchen auf der Rückbank.

Vater und Tochter sind unfähig, miteinander zu reden. Die Situation eskaliert und das Auto überschlägt sich. Wenige schmerzvolle Einstellungen später bekommt die junge Alexia (Adèle Guigue) eine Titanplatte in ihrem Schädel implantiert. Sie hat überlebt. Ihre innere Ruhe hat sie damit aber noch nicht gefunden. Im Gegensatz zu den ersten Aufnahmen von Titane, die uns in der Dunkelheit das größere Bild erahnen lassen, sind die Folgen des Unfalls deutlich sichtbar: Eine große Narbe zieht sich über Alexias rechtes Ohr.

Intensive Bilder prägen den Auftakt von Julia Ducournaus erstem Film seit ihrem eindrucksvollen Regiedebüt Raw im Jahr 2016. Die innere Zerrissenheit der Figuren wird in Titane unmittelbar nach außen gekehrt. Ihr Schmerz verbildlicht, ihre Unruhe entfesselt: Selbst wenn sie sich gegenüber anderen Menschen verschließen und in einem tiefen Schweigen versinken, transportiert der Film ihre Gefühle mit erschütternder Direktheit auf die Leinwand. Alles fassen, geschweige denn begreifen, kann er trotzdem nicht.

Wenn wir Alexia (Agathe Rousselle) viele Jahre später begegnen, sind die aufschürfenden Reibungen zwischen dem Offensichtlichen und dem Verborgenen noch größer. Trotz ihrer traumatischen Kindheitserfahrung streckt und räkelt sich Alexia leidenschaftlich auf der Motorhaube eines feurigen Autos, als rolle sie sich in eine gemütliche, wärmende Kuscheldecke. In Titane schlummert ein Begehren nach – vorzugsweise metallenen – Oberflächen, das mit jeder Minute größer, geradezu unersättlich wird.

Alexia fühlt sich dem kalten Metallkörper näher als dem pulsierenden Fleisch und Blut, das sie umgibt. Sie vereint sich mit Widerständen – ein aufwühlender Akt voller Zerstörungsdrang und Schöpfungsideen. In Titane erleben wir eine Transformation und Befreiung, wie sie das Kino in solch drastischen Bildern lange nicht gesehen hat. Geborgenheit und Entblößung sind eng verschlungen in Ducournaus Beobachtungen von verlorenen Seelen, die sich annähern und gleichzeitig voneinander wegstoßen.

Titane will nicht verstören und erst recht nicht verletzen. Das Extreme, das unbändig in dem Film brodelt, ist Ausdruck von Zerbrechlichkeit und der einzige Weg, verhärtete Formen zu durchdringen. Ein Quetschen, ein Dehnen, ein Biegen und ein Reißen: Am Ende steht eine nervenaufreibende, aber vielmehr noch eine berührende Erfahrung. Getragen wird sie von Ducournau starker Inszenierung und zwei grandiosen Schauspieler:innen. Jeder Blick, mit dem sich Agathe Rousselle und Vincent Lindon begegnen, führt tief unter die Oberflächen, über die Titane streift, bis sie zerspringen.

Beitragsbild: Titane © Koch Films