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Tommaso – Kritik

Einen Film will er finanzieren, der von dem unerbittlichen Überlebenskampf in eisiger Kälte erzählt. Sogar ein Bär soll vorkommen, möglichst kostengünstig umgesetzt, aber dennoch so schrecklich, dass der alleinige Anblick die Zuschauer weit über den Abspann hinaus verfolgt. Tommaso (Willem Dafoe), ein US-amerikanischer Regisseur, der seit einigen Jahren in Rom lebt, sitzt an seinem Computer und geht das Storyboard für sein nächstes Projekt durch. Er ist so vertieft in sein Schaffen, dass er gar nicht merkt, wie er seine Familie aus den Augen verliert. Umso intensiver fällt das nachfolgende Streitgespräch mit seiner Frau aus. Im weiteren Verlauf des Films wird es immer wieder aufgegriffen, bis die Situation eskaliert und Tommaso am Ende als jenes brüllendes Monster auf der Straße steht, das er zuvor selbst in Szene setzen wollte.

Großartig verschwimmen hier die Grenzen zwischen einem Künstler und seinem Kunstwerk – doch das ist längst nicht alles. Denn Willem Dafoe spielt in Tommaso, der hierzulande unter dem poetischen Title Tommaso und der Tanz der Geister in die Kinos kommt, einen Filmemacher, bei dem Arbeit und Privatleben einen direkten Dialog miteinander eingehen. Abel Ferrara verarbeitet in dem Drama seinen eigenen Werdegang. Seit 2005 lebt der New Yorker Regisseur in Rom. Willem Dafoes Tommaso fungiert nun als sein Alter Ego, während seine Frau Cristina Chiriac und seine 3-jährige Tochter Anna Ferrara die filmischen Ebenbilder ihrer selbst spielen – versteckt lediglich unter den Rollennamen Nikki und Dee Dee. Abel Ferrara versucht gar nicht erst, die Parallelen zu verstecken, im Gegenteil: Er provoziert sie in geradezu brutalem, nervenaufreibendem Ausmaß.

Tommaso, der Film, wirkt dadurch unfassbar roh und intim, was nicht zuletzt auf die vibrierende Kameraführung von Peter Zeitlinger zurückzuführen ist, der in den vergangenen Jahren insbesondere Werner Herzog bei seinen filmischen Grenzerfahrungen begleitete. Obgleich deutlich zu erkennen ist, dass die Ressourcen nur begrenzt waren, überwältigt der Film mit seiner Unmittelbarkeit. Selbst wenn die Bilder aggressiv überbelichtet sind, fügt Abel Ferrara das Material letzten Endes stimmig zusammen, wobei stimmig in diesem Fall aufwühlend heißt. In Tommaso nähert er sich einer zerrissenen Seele an – das kommt in jeder Sekunde zum Ausdruck, mal in erschütternden Gesprächen, mal in surrealistischen Momenten. Vor allem aber ist Willem Dafoe der treibende Motor dieser schonungslosen Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen.

Für Abel Ferrara ist diese Art der Reflexion keineswegs neu. 1993 projizierte er etwa eine mehr oder weniger verschlüsselte Version seiner selbst im Rahmen von Dangerous Game auf die Leinwand. Damals spielte Harvey Keitel, der ein Jahr zuvor als Bad Lieutenant für Abel Ferrara vor der Kamera stand, einen Regisseur, der versucht, einen Film im Film zu drehen. Jetzt übernimmt Willem Dafoe diese Aufgabe. Schon in Pasolini erforschte er zusammen mit Abel Ferrara das Wesen eines rastlosen Künstlers. Dieses Mal geht es allerdings deutlich weniger um das Filmemachen an sich. Stattdessen rückt die Familie in den Vordergrund, die ein idyllisches Leben in den Straßen Roms führen könnte, aufgrund von Tommasos Kampf mit seinen Dämonen jedoch zu zerbrechen droht. Daraufhin gibt sich Abel Ferrara auf die Suche nach einem Ausbruch aus diesem Teufelskreis.

Besonders spannend ist dabei, wie schmal der Grat zwischen Wahnsinn und Vernunft ist. Abel Ferrara beobachtet immer wieder strapazierende Situationen, in denen Tommaso über sich hinauswachsen muss. Bei einem regelmäßigen Treffen der Anonymen Alkoholiker zeigt sich meist ein Charakter, der besonnen auf vergangene Exzesse zurückblicken kann, bevor er an einem späteren Punkt des Films wieder die Beherrschung verliert und in destruktive Verhaltensmuster verfällt. Diese Abfolge wiederholt sich mehrmals in Tommaso, als würde Abel Ferrara den gleichen Punkt des Scheiterns aus so vielen Perspektiven wie möglich betrachten wollen. Am stärksten ist diese autobiographische Tour de Force aber dann, wenn abseits der Härte auch eine unerwartete Zärtlichkeit zum Vorschein kommt und den erschreckenden Bären als komplexe, tragische Gestalt begreift.

Tommaso © Neue Visionen