Thandie fucking Newton! Westworld ist noch keine Staffel alt und hat bereits unglaublich viele Schauspieler_Innen ins Rampenlicht gerückt, die trotz ihres offensichtlich vorhandenen Talents in der aktuellen Kino- wie Serienlandschaft eher untergehen. Jeffrey Wright etwa, der mit jedem Blick durch seine tief sitzende Brille Wissen und Unwissen, Neugier und Entdeckergeister vereint. Jedes Wort aus seinem Mund scheint von wohl überlegter Bedeutung, jede Frage gleicht einem ausformulierten Kunstwerk. Und dann wäre da natürlich Evan Rachel Wood, die all diese Fragen, die Jeffrey Wright ihr als Bernard stellt, in der Rolle des weiblichen Roboters Dolores entgegennimmt.
In diesen Gesprächen blicken ihre Augen meist in eine undefinierbare Ferne, träumen von Freiheit und Unabhängigkeit in einem Raum, der bloß ein paar Meter groß ist und sich tief im Herzen einer unterirdischen Anlage befindet, die komplett von der Außenwelt abgeriegelt ist. Mit The Adversary, der sechsten Episode der ersten Staffel von Westworld, bekommt endlich Thandie Newton endlich ihren Dolores-Moment und darf in die gleiche undefinierbare Ferne blicken. Im Gegensatz zu ihrer Robo-Schwester schafft sie es sogar einen gewaltigen Schritt weiter, der die Westworld in ihren Grundfesten erschüttert – begleitet von einer aufbrausenden Variation von Radioheads Motion Picture Soundtrack.
Maeve (Thandie Newton) hat „Butcher“ Felix (Leonardo Nam) komplett um den Finger gewickelt. Ohne zu wissen, was sie genau tut, tut sie unterbewusst genau das, was notwendig ist, um das nächste Level zu erreichen. Seit der ersten Episode lässt sich die Struktur des Themenparks mit der eines Spiels vergleichen und Jonathan Nolan sowie Lisa Joy sind niemals verlegen, die zahlreichen Ebenen der Westworld anzudeuten. In The Adversary, geschrieben von Jonathan Nolan und Halley Gross und inszeniert von Frederick E. O. Toye, ereignet es sich nun, dass für Maeve das Erreichen des nächsten Levels sprichwörtlich an der Tagesordnung steht. Niemand kann sie auffalten, alleine mit ihren Worten bringt sie ihr Gegenüber zum schmelzen.
In einem brillanten Zug kollidieren ihre Eigenschaften als tonangebende Dame eines Bordels mit ihrem wahren Kern als Roboter, der sich zum ersten Mal seiner künstlichen Intelligenz bewusst wird. Es ist ein schockierendes Erwachen, wenn das – abstrakte – Spiegelbild auf die eigenen Gedanken reagiert. In diesem Augenblick stolpert das Bewusstsein über die eigenen Beine und provoziert einen kompletten Systemabsturz. Der Mensch aus Fleisch und Blut daneben reagiert bloß mit Panik, denn in Wahrheit fürchtet er sich sehr vor dem, was er nun rückwirkend alles zu verantworten hat – als würde Westword im Akt der Schöpfung die Illusion selbiger komplett vernichten.
Dann zerbricht der Loop und Maeve tritt in die Wirklichkeit, die im Gegensatz zum rauen Sand und dem blauen Himmel im Themenpark mit ihren geometrischen Körpern und sterilen Räumen eher einer künstlichen Untergrundfestung als dem wahrhaftigen Paradies gleicht. Nach und nach entdeckt sie den Akt Schöpfung ihresgleichen, vom Bau der Skelette über die Programmierung von Menschlichkeit bis hin zu einem Werbespot, der in Form eines aufregenden Zusammenschnitts ein grenzenloses Abenteuer verspricht. Die Musik im Hintergrund schwillt beständig an und Ramin Djawadi beweist erneut sein Talent für überwältigende Arrangements. Auf einmal verliert sich die Geschichte vollständig in ihrem eigenen Fluss und lässt jegliche Fan-Theorie der vergangenen Wochen vergessen. Atemberaubend!
The Adversary besitzt durchaus das Potential, am Ende des Jahres als eine der mitreißendsten Episoden dazustehen, und das liegt unter andere daran, dass Westworld inzwischen einen Punkt erreicht hat, an dem die Wahrheit zu greifen nahe scheint, obgleich sie noch in weiter Ferne versteckt ist. Elsie (Shannon Woodward) kommt zwar dem Geheimnis rund um Arnold auf die Spur und auch Bernard entdeckt Dinge im Park, die wohl nie ein menschliches Auge hätte sehen sollen. So existiert eine Roboter-Familie der ersten Generation in einem abgelegenen Sektor, die von keinem Protokoll erfasst wird und seinerzeit von Arnold geschaffen wurde. Die nächste Enthüllung: Es handelt sich um eine Spiegelung von Fords (Anthony Hopkins) Familie – sprich: Ein behüteter Ort der Erinnerung, der eigentlich niemals existieren dürfte. Aber wo führen diese unheilvollen Hinweise schlussendlich hin?
Westworld kommt auf eine Frage zurück, die seit Beginn im Narrativ für Unordnung sorgt: Wer ist hier der Gute? Wer ist hier der Böse? Und was, wenn eine klare Linie zwischen den Fronten überhaupt nicht vorhanden ist? Langsam, aber sicher dürften wir uns darauf geeinigt haben, dass sämtliche Figuren eine düstere Seite besitzen, die sie nur ungern zur Schau stellen – Ausnahmen wie etwa The Man in Black (Ed Harris) außen vor gelassen. Theresa (Sidse Babett Knudsen) fungiert als jüngstes Beispiel für dieses zynische Manifest der Grausamkeit. Teddy (James Marsden) tritt ebenfalls in vergleichbare Fußstapfen. In allen Ecken der Westworld wartet jemand, um das Versprechen nach einem Abenteuer ohne Grenzen einzufordern. Die Konsequenzen sind verheerende.
Doch was passiert, wenn all diese Figuren – egal, ob Mensch oder Roboter – auf einen ziemlich cleveren Trick reingefallen sind? „It means the glass has been manufactured to the wrong specifications“, antwortet Bernard seiner Kollegin Elsie, als sich diese erkundigt, ob in Anbetracht der vonstattengehenden Ereignisse das Glas halbvoll oder halbleer sei. Momentan sieht es ganz so aus, als würde Ford fleißig daran arbeitet, die Beschaffenheit dieses Glases rigoros zu verändern. Dem ist Bernard unlängst auf die Schliche gekommen, die Frage ist nur, ob er auch schon im Bilde ist ob der endgültigen Form dieses Glases, das einem unübersichtlichem Labyrinth gleicht. Zum Kern dieses Labyrinth ist bis dato noch keine der Figuren vorgedrungen. Liegt es daran, dass es sich ständig in Bewegung befindet. Oder womöglich gar nicht existiert? „Like you said, I’ve been here forever.“
Anmerkungen am Rande:
- Ein netter Verweis ans Original: Als Bernard im Keller der Westworld nach Antworten sucht, trifft er auf den Ur-Killer-Roboter aus Michael Circhteons gleichnamigen Kinofilm. Ich hoffe nur, dass es bei dieser kleinen Verbeugung bleibt und sich die Serie nicht krampfhaft verbiegt, um den Bogen zur Handlung des Films zu schlagen. Möglich wäre es durchaus, gefühlt hat die Serie allerdings ihre Segel längst in eine völlig andere, in eine völlig neue Richtung gesetzt.
Westworld © HBO
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