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Olivia Rodrigo: Guts World Tour – Kritik

Mit den schlichten Worten „one last stop“ erweiterte Olivia Rodrigo die Tournee zu ihrem zweiten Studioalbum um ein Zusatzfinale. Bevor die Guts-Ära nächstes Jahr im Line-up diverser Festivals endgültig endet, begegnet die US-amerikanische Sängerin auf Netflix ihrem größten Publikum. Ein Coup für den Streamer: Guts World Tour markiert für Netflix den namhaftesten Konzertfilm seit dem 2020 erschienenen Excuse Me, I Love You von Ariana Grande.

Die Entwicklung kommt durchaus überraschend. Nicht zuletzt waren es vor einem Jahr zwei Konzertfilme, die im Angesicht der schwach aufgestellten Blockbuster-Saison den Kinoherbst mit beachtlichen Box-Office-Zahlen retteten. Während Taylor Swift im Oktober 2024 die Eras Tour als fulminantes Drei-Stunden-Epos auf die Leinwand brachte, schickte Beyoncé zwei Monate später den nicht weniger mitreißenden Renaissance-Film hinterher.

Dazu die parallel laufende Wiederaufführung des Talking Heads-Meilensteins Stop Making Sense – der Konzertfilm war so populär im Kino wie lange nicht mehr. Doch schon im Mai 2024 endete der Trend: Lady Gaga verabschiedete sich in den USA vom Chromatica Ball bei dem Streaming-Dienst Max. Jetzt folgt Rodrigo mit der Guts World Tour bei Netflix, einem musikalischen Großereignis, das problemlos einen Kinosaal zum Beben bringen könnte.

Gefilmt wurde der Guts-Film am 20. und 21. August 2024 bei Rodrigos ausverkauften Konzerten im Intuit Dome in Los Angeles. Mehrmals gibt Rodrigo auf der Bühne eine Liebeserklärung an ihre Heimatstadt ab, nachdem sie dieser bereits vor zwei Jahren mit dem Musikfilm driving home 2 u (a SOUR film) ein Denkmal setzte. Viel bekommen wir von LA nicht zu Gesicht. Dafür mustert die Kamera jeden Zentimeter der Arena in Hochglanzdigitalbildern.

Eingefangen wurde das Spektakel von James B. Merryman, der sich mit Live-Shows bestens auskennt. Oscars, Golden Globes – zuletzt inszenierte er die Wiederbelebung der Victoria’s Secret Fashion Show im Duggal Greenhouse in New York. Auch bei Renaissance war er als Regisseur beteiligt und verewigte die furiosen Choreografien auf der Leinwand. Dieses Mal arbeitet er allerdings mit deutlich weniger Ebenen, die vor unseren Augen zusammenlaufen.

Während Merryman bei Beyoncé als Live-Show-Director mit einer Vielzahl an Performances jonglierte, sodass sich der Film mitunter anfühlt, als würde man alle Konzerte der Tournee gleichzeitig erleben, verschmelzen die beiden Olivia Rodrigo-Auftritte zu einer Fassung, die vor allem an Close-ups interessiert ist. Sobald Rodrigo zu bad idea right? ansetzt, bleibt sie der Mittelpunkt des Films und schüttet ihre Gefühle im Scheinwerferlicht aus.

Ein spannender Balanceakt findet trotzdem statt, nämlich jener zwischen Popstar und Rockstar. Die Bühnenshow mit ihren Scheinwerfern und Background-Tänzerinnen schielt in die Pop-Richtung, erst recht, wenn Rodrigo auf einem riesigen, hell leuchtenden Halbmond durch den Sternenhimmel schwebt. Ein magischer Augenblick, eine verträumte Fantasie, die problemlos auch ein Teil eines Sabrina Carpenter-Konzerts sein könnte.

Insgeheim lehnt sich Rodrigo aber lieber in die verzerrten Gitarren, entfesselt einen wilden Gefühlssturm und greift im ikonischsten Moment der Show zum Megafon. Mit kratziger Stimme hallen die ersten Worte von get him back! durch den Intuit Dome. Verletzt, wütend, neidisch, verbissen – und trotzdem mit wilder Zärtlichkeit ausgestattet. Zerfetzter Herzschmerz. Spilled. Obsessed. Guts World Tour fängt die Wucht des Albums und Rodrigos Act präzise ein.

Das Einzige, was dem Film fehlt, ist das Gespür für das popkulturelle Phänomen dahinter. In The Eras Tour und Renaissance strömte zu jeder Sekunde ein Bewusstsein für die Schaffenskraft und das Vermächtnis der Künstlerinnen. Guts World Tour reiht die Songs dagegen ein bisschen zu routiniert aneinander. Sogar der Cameo von Chappell Roan, die beim US-Teil der Tour als Support fungierte und inzwischen selbst Arenen füllt, verfehlt die High-Note knapp.

Beitragsbild: Guts World Tour © Netflix