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Da 5 Bloods – Kritik

Spike Lees neuster Film ist ein ziemlich wilder Trip. Nachdem er für Netflix bereits seinen Durchbruchsfilm She’s Gotta Have It als Serie neu aufgelegt und mit einer neuen Perspektive versehen hat, nutzt er im Zuge von Da 5 Bloods einmal mehr die Freiheiten, die ihm der US-amerikanische Streaming-Dienst als Filmemacher gewährt. Es ist nur schwer vorstellbar, wie ein solch ausuferndes Werk bei einem traditionellen Hollywood-Studio ausgesehen hätte. In über zweieinhalb Stunden lässt Spike Lee jedem Gedanken freien Lauf, der ihm gerade in den Sinn kommt. Mitunter gleicht Da 5 Bloods einem einzigen Bewusstseinsstrom. Es ist Fluch und Segen zugleich.

Erzählt wird die Geschichte von vier schwarzen Kriegsveteranen, die gemeinsam im Vietnamkrieg gedient haben und nach langer Zeit an jenen Ort zurückkehren, der mit vielen schrecklichen Erinnerungen verbunden ist. Paul (Delroy Lindo), Otis (Clarke Peters), Eddie (Norm Lewis) und Melvin (Isiah Whitlock Jr.) wollen die sterblichen Überreste ihres Kameraden Norman (Chadwick Boseman), den sie einst bei einer Mission verloren haben, in die Heimat zurückbringen. Insgeheim verfolgen sie aber noch ein anderes Ziel: Eine Kiste voller Gold, die damals von den Soldaten vergraben wurde, wartet nur darauf, endlich aus dem Dschungel geborgen zu werden.

Die Prämisse gleicht einem B-Movie, während sich Da 5 Bloods anfangs als Mischung aus ernstem Kriegsdrama und gut gelauntem Klassentreffen entfaltet. Spike Lee rast ungebremst durch das von Ideen überladene Drehbuch und eröffnet im Minutentakt eine neue Ebene seines Films. Zuerst sind es Archivaufnahmen, die den Zuschauer ein drastisches Stimmungsbild vermitteln, ehe das Wiedersehen der alten Freunde einer entspannten Reunion gleicht, die Vietnam als Schauplatz für den Sommerurlaub identifiziert und damit deutlich im Kontrast zu den erschreckenden Kriegsbildern steht. Für eine kurze Zeit könnte dieses Vietnam auch einfach das Las Vegas der Hangover-Filme sein.

Apocalypse Now hängt hier als Poster genauso obligatorisch über der Tanzfläche im Hotel, wie Richard Wagners Walkürenritt zur Bootsfahrt erklingt. Die aufwühlenden, schockierenden Bilder, die das Kino in den 1970er Jahren für den Schrecken des Vietnamkriegs gefunden hat, taugen in der Welt von Da 5 Bloods nur noch als popkulturelle Referenzen. Die Reise ins Herz der Finsternis als Touristenattraktion: Spike Lee hat die (Film-)Geschichte genau studiert und liefert nun einen schonungslosen Remix, der entlarvt, was mit der Zeit verklärt wurde, ehe er selbst in jenes Territorium vordringt, wo die Figuren versuchen, die Geschichte nach ihren eigenen Vorstellungen zu schreiben, auch wenn sie diese nur verklären.

Das passiert etwa im Rahmen der regelmäßig eingestreuten und durch das Bildformat deutlich getrennten Flashbacks, die uns direkt in den Krieg katapultieren. Die engen 4:3-Bilder sind aber alles andere als zuverlässig. Vielmehr handelt es sich um widersprüchliche Erinnerungen der Figuren, die mal mehr, mal weniger unterbewusst manipuliert wurden, um das erlebte Grauen überhaupt verarbeiten zu können. Norman tritt dabei stets als die strahlende Persönlichkeit aus den unzähligen Anekdoten auf, die von seinen Kameraden Jahre später noch erzählt werden. Korrigieren tut Spike Lee die verzerrten Bilder nicht. Stattdessen nutzt er sie als Projektionsfläche für das zerrissene Innenleben seiner Protagonisten.

Wenn Da 5 Bloods in die Vergangenheit eintaucht, sehen wir – mit Ausnahme von Chadwick Boseman – keinen jungen Cast. Stattdessen dreht Spike Lee (in einem interessanten Gegenentwurf zu The Irishman) zwei verschiedene Zeitebenen mit denselben Schauspielern und ermöglicht somit einen spannenden Dialog, der sich über Dekaden streckt und schließlich auch eine jüngere Generation ins Boot holt. Da wäre etwa Pauls Sohn David (Jonathan Majors) oder die französische Aktivistin Hedy (Mélanie Thierry), die die Welt mit völlig anderen Augen sehen. Am Ende stecken dennoch alle im Dschungel fest und werden mit einer Situation konfrontiert, die sich stetig verschlimmert – ein bitterer Bruch in dem Film.

Während die Figuren bei der Suche nach dem Gold an ihre körperlichen wie moralische Grenzen stoßen, deckt Spike Lee zunehmend düsterere und verstörendere Ebenen auf. Aus dem verspielten Umgang mit Kriegsfilmen wie Oliver Stones Platoon und dem zweiten Rambo-Teil mit Sylvester Stallone, ganz zu schweigen von John Hustons Meisterwerk The Treasure of the Sierra Madre, wird ein abgründiges Drama und eine unbarmherzige Satire. Alle grausamen Vietnamerfahrungen erreichen die Gegenwart und sorgen erneut für Tod und Verderben. Unberechenbar gestaltet sich Da 5 Bloods ab diesem Punkt, das große Bild, auf das der Film zusteuert, erreicht er aber nie.

Wie ein unvollendetes Mosaik wirkt Da 5 Bloods mit all seinen verschiedenen gestalterischen Elementen und angerissenen Konflikten. Spike Lee argumentiert überzeugend mit dem Trauma seiner Figuren, aber zusammenführen kann er die Splitter ihrer Existenz nicht. Für Amerika haben sie in einem fremden Land gekämpft und dabei ihre sowieso schon zerrissene Identität verloren. Mit Träumen und Hoffnungen kehren Paul, Otis und Co. in die Fremde zurück, doch das einzige, was sie finden, ist eine alte Ruine im Dschungel, die sich als letzte Station einer langen Reise entpuppt. Ein tragisches Ende, das für Spike Lee einmal mehr auch ein Appell ist, wenn sein Film schließlich in unserer Gegenwart ankommt.

Da 5 Bloods © Netflix