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Neodämmerung: Im prasselnden Regen beschwört Don Davis das Ende der Matrix-Trilogie

Der dritte Akt: Viele Filme und Trilogien geraten ins Schludern, wenn sie sich auf die alles entscheidende Konfrontation zubewegen. Zu groß ist der Druck, der aus dem Vorhergegangenen resultiert, geradezu unmöglich scheint es oft, all die losen Fäden in einem befriedigenden Finale zusammenzuführen. Im Fall von The Matrix Revolutions nutzen Lana und Lilly Wachowski die angestaubte Energie, um sie in den wohl epischsten Minuten der gesamten Trilogie zu entladen – der Überhöhung sind keine Grenzen mehr gesetzt. Selten hat sich ein Film so in die Wogen der Entscheidung gestürzt.

Realitäten brechen, Welten verbiegen und dabei stets auf dem schmalen Grat des Metaphorischen balancieren: Wenn Neo (Keanu Reeves) ein letztes Mal Agent Smith (Hugo Weaving) gegenübertritt, erschaffen die Wachowskis eine Bühne, die wahrlich einem Endkampf würdig ist. Der digitale Regen, mit dem einst in The Matrix alles angefangen hat, verwandelt sich in wuchtige Tropfen, die vom Himmel fallen und auf dem Asphalt zerplatzen. Der Regen ist auf einmal so echt und greifbar, dass er regelrecht die Konturen der Kämpfenden formt, obwohl er schlussendlich nur ein Programm ist.

Neodämmerung markiert das Finale der Matrix-Trilogie

Das Wirkliche und das Unwirkliche ganz nah beieinander: Vor endzeitlicher Kulisse prügeln sich Neo und Agent Smith in den Straßen dieser gigantischen, anonymen Metropole, die von krachenden Blitzen in einen grünen Friedhof transformiert wird. Die Matrix-Apokalypse hat begonnen, die Götterdämmerung bricht an. Davon erzählt auch Don Davis‚ kongeniale Filmmusik. Nachdem er sich für The Matrix Revolutions bereits die Enthüllung des kompletten Liebesthemas zwischen Trinity (Carrie-Anne Moss) und Neo aufgehoben hat, überrascht er im Finale mit einer letzten überwältigenden Komposition.

Der Titel des Stücks könnte kaum epochaler ausfallen: Von der Neodämmerung ist hier die Rede, angelehnt an Richard Wagners vierten Teil der Nibelungen-Tetralogie. Der Untergang der Götter naht, ein neues Zeitalter bricht an – treffender könnte das Vorbild kaum gewählt sein. Am Ende greift Don Davis aber vor allem auf die musikalischen Motive zurück, die er im Lauf der Matrix-Trilogie selbst etabliert hat, auch wenn sich diese nur schwer definieren lassen. Nicht fehlen dürfen dabei die zwei überlappenden Dreiklänge in unterschiedlichen Tonlagen, die das Fundament der einzelnen Matrix-Scores bilden.

Für den großen Endkampf bringt Don Davis aber noch viel mehr Ideen mit, einige von ihnen ertönen sogar zum ersten Mal, was die Wichtigkeit des Moments untermauert. Zuerst ist da wieder das Stampfen der Maschinen, ehe ein rennendes Klavier verdeutlicht, dass es nun wirklich keinen Ausweg mehr gibt. Das nachfolgende Aufeinandertreffen ist unvermeidlich, wie Agent Smith es formulieren würde. Die Blechbläser verleihen seinen scharfen Worten Nachdruck, doch dann erhebt sich plötzlich eine andere Macht, nämlich ein gewaltiger Chor, als würde er das Chaos und die Unterdrückung durchbrechen.

Am Ende gibt die Filmmusik den Menschen eine Stimme

Die Stimme der Menschen hallt so unerschütterlich durch die Matrix, wie sie dort noch nie zu vernehmen war. Gesungen wird ein Text, der aus dem Pavamana Mantra stammt, das erstmals in den Upanishaden auftauchte. Dabei handelt es sich um religiöse Schriften des Hinduismus. Übersetzt man den Refrain aus dem Sanskrit, spiegelt sich der Kampf der Menschen gegen die Maschinen darin: „Lead us from untruth to truth, lead us from darkness to light, lead us from death to immortality, peace peace peace.“ Auch wenn man die Worte nicht versteht, wird ihre Bedeutung durch die Bewegung der Musik deutlich.

Mit Neodämmerung gelingt Don Davis das Kunststück, nach all den Superlativen der Matrix-Trilogie noch einmal einen Moment heraufzubeschwören, der sich so mächtig und bedeutend wie kein anderer zuvor anfühlt und das Ende dieser kräftezehrenden Reise manifestiert. Die Musik steigert sich mit jedem Faustschlag der Figuren und pocht auf das Unvermeidbare. Dieses mal gibt es keinen Sprung, der Neo aus dem U-Bahn-Schacht katapultiert. Stattdessen prügelt er sich mit Agent Smith tiefer und tiefer in die virtuelle Stadt hinein, bis er schließlich die Straßen aufreißt und zum Grund der Matrix vordringt.

Die Musik lässt in diesem Moment keinen Zweifel mehr: Es endet, hier und jetzt. Das Orchester droht förmlich zu explodieren, die Maschinen sind heißgelaufen und überhitzen. Nur der Mensch, angetrieben von Liebe, trotzt dem apokalyptischen Tohuwabohu, bis das Licht alles auseinanderreißt und eine neue Welt entstehen kann. Neodämmerung erzählt diese Geschichte aber nicht allein. Stattdessen verlängert Don Davis das musikalische Finale der Matrix-Trilogie mit den ebenso eindrucksvollen Kompositionen Why, Mr. Anderson? und Spirit of the Universe, ehe sich die Dissonanzen in strahlende Harmonien auflösen.

The Matrix Revolutions © Warner Bros.