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Paterson – Kritik

Es ist ein ewiger Kreislauf, dieses Leben. Niemand kann sich ihm entziehen. Auf jeden Montag folgt ein Dienstag, der wiederum von einem Mittwoch, Donnerstag und Freitag abgelöst wird, bevor Samstag und Sonntag den Weg für den nächsten Montag ebnen. Die Woche hat sieben Tage, jeder dieser Tage 24 Stunden und dazwischen existieren noch 1440 Minuten und 86400 Sekunden, die vergehen – ja, immer wieder von vorne vergehen. Dennoch gleicht dieser ewige Kreislauf einem Paradox, denn alles fließt, befindet sich in Bewegung und wird niemals bleiben. Das Erleben eines jeden neuen Tages scheint trotzdem ein mühseliges Schicksal zu sein. Eine anstrengende Aufgabe, die schnell zu trister Eintönigkeit führt.

In der Wiederholung liegt der Ausbruch jedoch bereits verborgen. Um dieses Geheimnis zu entdecken, braucht es allerdings Zeit – und Zeit ist etwas, mit dem Jim Jarmusch seit Anbeginn seines Schaffens sehr bewusst und effektiv umgeht und umgehen kann, so auch bei seinem jüngsten Werk, Paterson, einer nachdenkliche wie berührenden Meditation auf den ewigen Kreislauf des Lebens. Der Film erzählt aus dem Alltag des titelgebenden Busfahrers, der nach der Stadt benannt wurde, in der er lebt und aufgewachsen ist. Adam Driver schlüpft nach seinen unbeherrschten Wutausbrüchen in Star Wars: The Force Awakens mit einer ebenso einnehmenden, aber deutlich zurückhaltenderen Performance in die Rolle des Protagonisten, der geradezu mit seiner Heimat verschmilzt und trotzdem ein Fremder ist.

Paterson steht jeden Morgen ungefähr eine Viertelstunde nach sechs Uhr auf, einen Wecker braucht er nicht. Der Blick auf die Armbanduhr bestätigt seine morgendliche Routine. Mal sind es ein paar Minuten mehr, die er im Bett mit seiner Frau Laura (auf Augenhöhe mit Driver: Golshifteh Farahani) verbringt, mal ein paar Minuten weniger. Eile hat er jedoch keine; sein Tagesablauf folgt stets den gleichen Mustern, stets den gleichen Begegnungen, stets den gleichen Gesprächen. Es entsteht regelrecht der Eindruck, nichts auf Erden könne Paterson aus der Bahn werfen, da sich alles an längst erprobten sowie exakt einstudierten Vorgängen orientiert. Als wäre Bill Murrays ständiges Erleben des Murmeltiertags eine absolute Selbstverständlichkeit in der Welt von Paterson.

Aufmerksam beobachtet Kameramann Frederick Elmes, der im Rahmen seiner Filmographie nicht nur regelmäßig mit Jim Jarmusch zusammengearbeitet, sondern vor ein paar Jahren auch Charlie Kaufmans sorgfältige Charakterstudie Synecdoche, New York in bewegte (sowie bewegenden) Bilder eingefangen hat, jeden Schritt und Tritt des Protagonisten, vermittelt gleichzeitig aber auch eine nahezu unheimliche Selbstsicherheit in der Dokumentation einzelner Bewegungsabläufe. Immer wieder findet er die gleichen Einstellungen und führt die Kamera selbstsicher in die Richtung, in die sich Paterson wahlweise zu Fuß oder mit seinem Bus begibt. Kein Wunder, dass der Besitzer seiner Stammkneipe das Bier serviert, bevor Paterson überhaupt den Mund aufmachen kann.

Mag die offensichtliche Inszenierung der alltäglichen Redundanz auf den ersten Blick nur Vorarbeit für eine Pointe sein, entsagt Jim Jarmusch geschickt den Erwartungen. Sein Film ist ein ehrlicher Film, ein aufrichtiger Film. Zynische Bemerkungen oder reißerische Passagen haben keinen Platz in diesem poetischen Gedankenspiel. Stattdessen baut sich die Geschichte von Tag zu Tag (neu) auf und kommt am Ende einen Schritt weiter. Winzige Details und minimale Variationen spielen eine entscheidende Rolle, um diesen Fortschritt zu ermöglichen, der seinen Stolz auf angenehme Weise der Selbstverständlichkeit unterordnet. Da kann die Aussicht auf eine Explosion mit Feuerball noch so groß sein: Sie wird niemals eintreffen.

Das Faszinierende dabei ist: Paterson wirkt nie enttäuscht von seinem einfachen Leben, während seine Frau dagegen unermüdlich das Haus umdekoriert und wahlweise von einer Karriere als Country-Sängerin oder Besitzerin eines Cupcake-Ladens träumt. Laura scheint jeden Tag eine neue Idee, einen neuen Entwurf für ihr Leben zu entdecken. Als wäre sie nie zufrieden, aber trotzdem glücklich – ein Glück, das sie mit Paterson teilen kann, der selbst in zwischenmenschlichen Beziehungen ein wenig verloren wirkt, wenngleich außer Frage steht, dass ihm selbige wirklich etwas bedeuten. Manchmal wirkt Paterson wie ein außerirdischer Gast, der das irdische Treiben deswegen so schön als Poet beschreiben kann, weil er – trotz der zahlreichen Übereinstimmungen mit seiner Stadt – nur ein Fremder ist.

Jim Jarmusch lässt all diesen Überlegungen genügend Platz, um sich zu entfalten. Nach wie vor dominiert unendliche Lakonie; sie zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Stationen, die Paterson mit seinem Bus anfährt – sei es der behutsame Verweis auf die Gedichte von William Carlos Williams oder ein Kinobesuch von Erle C. Kentons Pre-Code-Science-Fiction-Horrorfilm Island of Lost Souls. Dann neigt sich die Woche schließlich dem Ende und der nächste Montag kündigt sich vor dem Einschlafen an. Das Erwachen am nächsten Tag gleicht einem Dájà-vu, einem wundervollen Déjà-vu. Verschlafen wird Paterson im nächsten Augenblick nach seiner Uhr greifen und Laura liebevoll anstupsen. Es ist alles wie immer und trotzdem nichts, wie es vorher einmal war.

Paterson © Weltkino Filmverleih