Ende April diesen Jahres sitzt Ridley Scott in einem abgedunkelten Zimmer im Berliner Hotel de Rome und beantwortet Fragen zu Alien: Covenant, dem ersten von zwei Filmen, die ihn 2017 wieder zurück zu seinen Wurzeln führen sollten. Während er als Regisseur des Prometheus-Nachfolgers daran interessiert ist, den Ursprung des Franchises – das titelgebende Alien – auszulagern und sich stattdessen auf eine Schöpfungsgeschichte der künstlichen Intelligenz zu konzentrieren, übergibt er wenige Monate später als Produzent eine andere, von ihm geschaffene Marke mit genau dieser Thematik in die Hände des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve. Blade Runner 2049 schließt an Ridley Scotts zeitlosen Cyberpunk-Odyssee aus dem Jahr 1982 an und verfolgt vor dem Hintergrund einer dystopischen Gesellschaft die Machenschaften von nachgemachter Menschen, von ihren Vorbildern aus Fleisch und Blut kaum noch zu unterscheiden sind.
Wie sich kürzlich in einem Bericht über die Dreharbeiten von Blade Runner 2049 herausstellte, hätte Ridley Scott vermutlich selbst am liebsten die Inszenierung des Films übernommen, so oft war er während der Produktion am Set unterwegs und hat seinem Nachfolger über die Schulter geschaut, ehe sich dieser dezent dagegen aussprach. Es fühlt sich fast so an, als könne Ridley Scott nicht loslassen und klammert sich im Angesicht seines 80. Geburtsgags an jene Filme, die ihn einst groß gemacht haben, nachdem er vor vier Dekaden mit The Duellists zum ersten Mal die große Leinwand eroberte. Doch dann sitzt er im Hotel de Rome, gleichermaßen teilnahmslos wie gelassen und spricht mit ruhiger, kratziger Stimme in eine unerwartet fachmännischen Tonfall über seine Beziehung zu den genannten Reihen, der vermuten lässt, er begegne seiner Arbeit mit der Gleichgültigkeit eines Handwerker, der pünktlich kommt und pünktlich geht, ohne jemals etwas zu hinterfragen.
Mit der gleichen monotonen Begeisterung erzählt Ridley Scott von seinen Plänen für die Zukunft des Aliens im Kino. Sollte das Studio aufgrund etwaiger Einspielergebnisse keine weitere Fortsetzungen in Auftrag geben, würde ihm der Verlust – so der Eindruck – nichts bedeuten. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus, denn Ridley Scott kümmert sich um seine Filme und das Kino, sehr sogar. Am liebsten würde er drei Filme pro Jahr drehen, verkündet er in einem kürzlichen Interview mit Entertainment Weekly anlässlich der (erneuten) Fertigstellung von All the Money in the Word, der in den USA noch dieses Jahr in die Kinos kommen soll. Ursprünglich mit Kevin Spacey in einer wichtigen Rollen gedreht, entschied sich Ridley Scott kurz nach Anthony Rapps Missbrauchsvorwürfen dazu, den etablierten Hollywood-Star komplett aus dem Film zu schneiden und durch Christopher Plummer zu ersetzen, ohne eine Verschiebung des Kinostarts überhaupt in Betracht zu ziehen.
Selbst in einem ereignisreichen Kinojahr wie diesem gehört dieser Stunt zweifelsohne zu den faszinierendsten und mutigsten Erscheinungen in der Filmlandschaft, immerhin mussten für die Reshoots nicht nur Cast und Crew für zehn weitere, außenplanmäßige Drehtage zusammengetrommelt, sondern ebenfalls das Produktionsbudget um ein viertel der ursprünglichen Summe aufgestockt werden. Während Branchenblätter wie im Sturm über Ridley Scotts nie vorhergesehene Entscheidung berichten, stellt sich abseits all der damit einhergehenden Diskussionen vor allem eine Frage: Wie in aller Welt soll der Film bis zum 22. Dezember 2017 fertiggestellt werden? Gerade dann, wenn die Aufregung am größten ist, erweist sich Ridley Scott jedoch als die ruhigste Konstante in diesem komplexen Konstrukt, das von so vielen kleinen Details abhängig ist und für die meisten Regie-Kolleg_innen womöglich zur Belastungsprüfung par excellence geworden wäre.
Ridley Scott hingegen wirkt bescheiden und konzentriert, verschwendet keine Zeit mit Nebensächlichkeiten, sondern macht einfach mit der Arbeit weiter. Es könnte erneut der Eindruck jener eingangs erwähnten Gleichgültigkeit entstehen. Doch niemand, dem etwas gleichgültig ist, stürzt sich kurz vor Feierabend in eine der größten Herausforderungen seiner Karriere und strahlt dabei nicht nur ein gewaltiges Maß an Professionalität aus, sondern ebenfalls eine bemerkenswerte Gewissheit hinsichtlich seiner drastischen Entscheidungen. Mehrmals will Sara Vilkomerson im EW-Interview ihrem Gegenüber auf den Zahn fühlen, um herauszufinden, ob nicht doch eine gewisse Unsicherheit herrscht. Doch Ridley Scott antwortet entschieden und knapp mit einem „No“, das weder unfreundlich noch arrogant herüberkommt, sondern schlicht von seiner Entschlossenheit und Schaffenskraft zeugt, die er selbst im Alter nicht verloren hat und allem Anschein nach wohl niemals verlieren wird.
In einem Jahr, in dem weder Alien: Covenant noch Blade Runner 2049 einen bleibenden Eindruck am Box Office hinterlassen konnten und All the Money in the World im letzten Augenblick das höchste Maß an Konzentration verbrauchte, plant Ridley Scott bereits in die Zukunft. Wo die meisten Filmemacher mehr Projekte ankündigen, als sie jemals realisieren werden, kommt Ridley Scott mit einem neuen Film um die Ecke, den er gefühlt über Nacht mit einer A-Liste an Schauspielerin gedreht hat, ohne dass das produzierende Studio davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass die erste Klappe längst gefallen ist. Dieser unerschöpfliche Output begeistert wahrlich, noch mehr ist es aber die präzise wie aufmerksame Herangehensweise, die Ridley Scott für jede seiner Unternehmungen erübrigt – mit maximaler Effizienz und stets dem Anspruch, sie nicht zu wiederholen.
Selbst wenn Ridley Scott zu seinen Wurzeln zurückkehrt, lässt er keinen Stein auf dem anderen, sondern dekonstruiert auf beispiellose Weise seine eigenes Vermächtnis, um aus der Ursuppe des Alien-Franchise ein neues Abenteuer zu kreieren, das sich gar nicht gegen das unheimliche Wesen aus dem All verschwört, sondern schlicht einen weiteren spannenden Blickwinkel präsentiert. Es gibt nur wenige Regisseure, die dermaßen zuverlässig Vielfalt zelebrieren und sich mit jedem weiteren Film in einer neuen Ecke der Welt verlieren, ohne dabei ihre Neugier zu verlieren. Vom packenden Science-Fiction-Blockbuster The Martian über das epische Historiendrama Kingdom of Heaven bis hin zum völlig abgedrehten The Counselor baut Ridley Scott auf einer in all den Jahren mühsam erarbeiteten, aber schlussendlich wertvollen Routine auf, die es ihm ermöglicht, seine Kinoträume auszuleben. Wenngleich die Zeiten von Alien und Blade Runner vorüber sind, will ich Ridley Scott auf der Leinwand auf keinen Fall vermissen.
Alien: Covenant © 20th Century Fox
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