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The Beatles: Get Back – Kritik

1969 filmte der Regisseur Michael Lindsay-Hogg die Proben und Aufnahmen, die zur Veröffentlichung des letzten Studioalbums der Beatles führten: Let It Be. Der gleichnamige Film erschien, genauso wie das Album, ein Jahr später und wurde zum Dokument der Anspannungen, die zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Band existierten. Wer in den letzten 50 Jahren einen Grund für die Trennung der Beatles suchte, bekam in Lindsay-Hoggs knapp 90-minütigem Werk stichhaltige Argumente geboten. Gefilmt wurde jedoch deutlich mehr Material. Bis heute hat es nicht das Licht der Welt erblickt.

Auftritt: Peter Jackson. Der Regisseur hinter der Lord of the Rings-Trilogie hat von Apple Corps, die das Beatles-Vermächtnis verwalten, Zugang zu 60 Stunden Rohmaterial erhalten, das Lindsay-Hogg für seine Dokumentation drehte. Dazu kommen 150 Stunden an Audioaufnahmen, die den Einblick in die Entstehung von Let It Be erweitern. Jackson hat das umfangreiche Material gesichtet und neu zusammengefügt. Herausgekommen ist eine dreiteilige Miniserie, die ein versöhnlicheres Bild zeichnet als der ursprüngliche Film – ohne zu beschönigen oder zu verklären.

The Beatles: Get Back, so der Titel von Jacksons Tauchgang in das letzte große Kapitel der Beatles-Geschichte, greift ebenfalls die Differenzen auf, die unter den Band-Mitgliedern herrschten. Besonders der Moment, in dem George Harrison die Proben verlässt, hinterlässt bei Jackson ein ungemütliches Gefühl, da er sich über einen längeren Zeitraum aufbaut und als Cliffhanger des ersten Teils fungiert. Die enorme Laufzeit von The Beatles: Get Back – alle drei Teile zusammen gehen fast acht (!) Stunden – ist der Schlüssel: Sie ermöglicht mehr Kontext, um die Situation besser einzuordnen.

Ursprünglich wollte Jackson die Doku als Film 2020 ins Kino bringen. Aufgrund der Corona-Pandemie musste der Start verschoben werden, woraufhin das Projekt eine neue Form annahm. Anstelle des Kinofilms erscheint The Beatles: Get Back nun als Serie auf dem Streaming-Dienst Disney+ und kann dadurch entschieden mehr zeigen. Jede einzelne Minute mit John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und den bereits erwähnten Harrison ist ein Geschenk. Gemeinsam sitzen sie in einem Raum und tüfteln an ihren Songs. Wie wertvoll das ist, weiß auch Jackson, und lässt die Aufnahmen für sich sprechen.

Vertraute Melodien erklingen und bauen sich eindrucksvoll auf. Hier und jetzt wird Geschichte geschrieben – doch dann reißt plötzlich alles ab. Lange dauert es, bis wir einen der ikonischen Songs in Gänze hören. Die meiste Zeit beobachten wir John, Paul, George und Ringo dabei, wie sie ihre Ideen ausprobieren. Sie scheitern, triumphieren und scheitern erneut. Texte werden überarbeitet, Songs neu arrangiert. The Beatles: Get Back ist eine gigantische Jam-Session voller Höhepunkte und Niederlagen, die uns bemerkenswert nah an den kreativen Schaffensprozess heranbringt.

Es gibt viele ähnlich gelagerte Dokus, denen dieses Kunststück gelingt, aber nur wenige, die mit dem Umfang von The Beatles: Get Back mithalten können. Jackson schickt uns zurück in die Räume der Twickenham Studios in London, ehe wir uns bei Apple Corps in der Savile Row wiederfinden, wo am Ende auch das legendäre Rooftop Concert stattfindet. Nach und nach transformiert sich der Film in ein mitreißendes Konzertereignis, das sich in Echtzeit entfaltet und mit nie vorhergesehenen Aufnahmen glänzt. Wo Jackson anfangs klare Einschnitte vornimmt, zeigt er den letzten Live-Auftritt der Beatles komplett.

Ein phänomenales Finale, das durch die Montage eine eigene Dynamik annimmt. Editor Jabez Olssen spaltet das Bild geschickt, um uns den magischen Moment aus allen zur Verfügung stehenden Perspektiven zu zeigen: Die Beatles, die sich in ihre frisch geschaffene Kunst hineinsteigern und gar nicht aufhören können, Get Back und Don’t Let Me Down von den Dächern zu schreien. Die Reaktionen der unwissenden Passant:innen, die ihren Blick gen Himmel richten, um herauszufinden, von wo die Musik kommt. Und dann wären da noch zwei junge Polizisten, die versuchen, für Ordnung zu sorgen.

All das steigert sich in einem Strudel, der die Beatles zur unaufhaltsamen Kraft werden lässt. Man will gar nicht, dass es jemals endet. Dennoch gibt es eine Sache, die irritiert: Jacksons mangelndes Vertrauen in das Filmmaterial. Über die körnigen 16-mm-Aufnahmen legt er einen glättenden Schleier, der die Konturen aufweicht. Es ist nicht das erste Mal, dass er Archivmaterial stark manipuliert: Schon in der Dokumentation They Shall Not Grow Old über Soldaten im Ersten Weltkrieg verlieh er Schwarz-Weiß-Bildern nachträglich Farbe und ergänzte Stummfilmpassagen um eine Tonspur.

Wo diese massive Veränderung bei They Shall Not Grow Old den immersiven Effekt gesteigert hat, entpuppt sich der Eingriff in diesem Fall als unpassend. Der Detailreichtum von The Beatles: Get Back ist beeindruckend, keine Frage. Jeder Marmeladentoast, der sich heimlich in die Ecke des Bildes geschlichen hat, ist deutlich zu erkennen. Die Doku sieht großartig aus, aber sie würde noch so viel besser wirken, hätte Jackson seine digitalen Werkzeuge subtiler eingesetzt und eine rauere Ästhetik zugelassen. Sobald die Beatles durch ihre Musik miteinander kommunizieren, ist das aber nur zweitrangig.

Beitragsbild: The Beatles: Get Back © Apple Corps Ltd.