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The Image Book – Kritik

Allein die Auswahl des Titelbildes für diesen Text gestaltet sich als knifflige Angelegenheit. Jean-Luc Godards neuer Film, The Image Book, ist eine Collage aus gesammelten Eindrücken. Mal bewegen sich die Bilder, mal frieren sie ein, wenn sie nicht sogar komplett verschwinden und ein großes schwarzes Loch in die Leinwand reißen. Vor allem aber sind sie verzerrt, die Bilder in The Image Book, mitunter bis zur Unkenntlichkeit. Mit einer bemerkenswerten Schnittfrequenz eröffnet Jean-Luc Godard einen ungefilterten Bewusstseinsstrom, der sich mit strickt voneinander getrennten Tonspuren vereint. Nicht einmal das begleitende Voice-over mischt sich ausgeglichen in diese erschlagende Montage, sondern ertönt unzuverlässig aus verschiedenen Richtungen, während der Untertitel erst gar nicht daran interessiert ist, eine vollständige Übersetzung der gesprochenen Worte zu liefern. Stattdessen eröffnet er eine weitere Ebene, in der wir uns als Zuschauer verlieren, wie wir sie auch komplett ausblenden können.

Nachdem Jean-Luc Godard zuletzt mit Adieu au langage den wohl bis heute radikalsten 3D-Film ablieferte, verabschiedet er sich mit The Image Book komplett in assoziative Welten, die nur schwer zugänglich sind, da den geneigten Rezipienten ein Gewitter an Informationen überrumpelt, ehe er sich unter ein schützendes Dach ins Trockene retten kann. The Image Book ist wild und chaotisch – also genauso wie die Welt, die der Film zu fassen versucht, meist in Buchstücken und Fragmenten, in denen immer wieder Gewalt zum Vorschein kommt, vor allem aber die Bewegung dominiert. Interessanterweise gestaltet sich The Image Book dabei als der Film von Jean-Luc Godard, der in seiner Kompromisslosigkeit nicht weiter von den Konventionen des Kinos entfernt sein könnte und trotzdem so nah am Ursprung der bewegten Bilder ist wie selten zuvor ein Film in seinem Schaffen. Genauso wie Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat die Menschen 1986 in ihren Bann zog, lässt sich Godard von der hypnotisierenden Bewegung mitreißen.

Jean-Luc Godard kombiniert die Bilder anderer Regisseure mit seinen eigenen, besteht aber darauf, dass wir nur kurze Einblicke in die Filmwelten erhalten, die sich auf der Leinwand eröffnen. Der Schnitt will uns gar nicht erst die Möglichkeit geben, geschweige denn eine faire Chance einräumen, das Kino zu begreifen. Stattdessen bleibt uns nichts anderes übrig, als atemlos das Feuerwerk im Kinosaal zu verfolgen. Nur die wenigen Schnipsel, die in diesem mit rohen Sättigungseffekten verfremdeten Bilder-Tornado wiederzukennen sind, sorgen für Halt und Orientierung, wobei sie die meiste Zeit über nur mehr Fragen ob ihrer Bedeutung in diesem gigantischen, lediglich grob in einzelne Kapitel aufgeteilten Mosaik aufwerfen. Ein Hitchcock blitzt mal durch, ein Pasolini ebenso. Dazwischen ist eine Einstellung aus Josef von Sternbergs Shanghai Express zu erkennen und wer die Cannes-Berichterstattung über The Image Book verfolgt hat, wird sicherlich auch schon erfahren haben, dass sich ein paar Sekunden aus Michael Bays 13 Hours in den Film verirrt haben.

Aber was ist The Image Book am Ende außer eine Übung darin, das Kino einmal mehr zu demonstrieren und in seine Einzelteile zu zerlegen? Jean-Luc Godard wäre nicht Jean-Luc Godard, würde er uns auf diese Frage eine einfache, deutliche Antwort geben. Genauso selbstbewusst, wie sein Film Bilder in nicht nachvollziehbarer Reihenfolge aneinanderreiht, verwehrt er sich einer klaren Sprache. Stattdessen verlässt er sich darauf und hofft, dass wir Zuschauer noch nicht müde sind. Vielleicht ist das alles nur ein alberner Spaß, ein misslungenes Experiment, womöglich sogar ein fragwürdiges Unterfangen. Ebenso versteckt sich in The Image Book aber auch ein Gedicht, ein Essay, ein Testament. Was The Image Book genau ist, das wird vermutlich selbst Godard erst im Lauf der Zeit herausfinden, wenngleich sein Voice-over mit bestimmender Garstigkeit die Geschehnissene kommentiert. Doch selbst diese Stimme ist nicht klar, sondern überlagert sich immer wieder selbst, während das Bild springt und niemals aufhört. Was aber niemand bezweifeln kann, ist, dass The Image Book existiert.

The Image Book © Grand Film