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WandaVision – Kritik

Das letzte Mal, als wir Vision (Paul Bettany) im Marvel Cinematic Universe gesehen haben, ist nicht nur die Farbe, sondern auch das Leben aus seinem Körper gewichen. Er ist einer der wenigen Superheld*innen, die im Kampf gegen Oberbösewicht Thanos gestorben sind und nicht mithilfe der Infinity-Steine gerettet werden konnten. Visions Tod gehört damit zu den deutlich markanteren Einschnitten in der bisherigen MCU-Historie – und trotzdem kehrt er jetzt mit Wanda (Elizabeth Olsen) in der Serie WandaVision zurück.

Es ist allerdings keine Rückkehr in die vertraute Marvel-Welt. Stattdessen finden sich Wanda und Vision an einen merkwürdigen Ort wieder, der sich in Form einer schwarz-weißen Sitcom aus den 1950er Jahren offenbart. Visions Erscheinung gleicht somit mehr dem toten blassen Körper, den wir zuletzt in Avengers: Infinity War gesehen haben, als dem übermenschlichen Wesen vorheriger MCU-Abenteuer. Anfangs dominiert in der Serie dennoch ein unbeschwertes Gefühl, immerhin befinden wir uns in einer Sitcom.

Ein gut gelaunter Intro-Song, strahlende Gesichter und das herzliche Lachen im Hintergrund: Serienschöpferin Jac Schaeffer und Regisseur Matt Shakman haben die erste Episode sogar vor Live-Publikum aufgezeichnet. Schon hier wird deutlich, dass es sich bei WandaVision um keine gewöhnliche MCU-Produktion handelt. Wenn Vision gemeinsam mit Wanda in ein feines Vorstadthaus zieht, sind mit Ausnahme der Figuren kaum Hinweise zu erkennen, dass wir uns in einem Superhelden-Blockbuster befinden.

WandaVision imitiert liebevoll (und manchmal bissig) die Eigenheiten eines längst vergangenen Kapitels der Fernsehgeschichte. Wie sich die Figuren bewegen, wie sie miteinander reden und welche Situationen sie erleben: Schaeffer hat aufmerksam die großen Vorbilder studiert und befördert einen Teil von Serien wie I Love Lucy ins Streaming-Zeitalter. Die nächste Ära des Fernsehens kehrt zu den Wurzeln eines der prägendsten Formate zurück: Diese unwahrscheinliche Begegnung hat durchaus etwas Poetisch.

Mehr als ein hingebungsvolles Imitat: Im Gegensatz zur Vorhersehbarkeit jüngerer MCU-Filme punktet WandaVision als kryptisches Rätsel, das uns Zuschauende lange Zeit im Dunkeln lässt. Was in der perfekten Vorstadtidylle wirklich vor sich geht, ist das große Geheimnis der Serie. Nach und nach werden aufwühlende Störgeräusche und verzerrte Radiosignale aber unüberhörbar. Selbst die überschwänglich hilfsbereite Nachbarin Agnes (Kathryn Hahn) kann dieses Problem nicht aus der Welt schaffen. Denn womöglich ist die Welt das Problem.

Die ersten zwei Episoden von WandaVision geben mehrfach Anlass, daran zu zweifeln, dass die schwarz-weiße Welt, in der sich Wanda und Vision bewegen, keine echte ist. Als würde The Truman Show auf The Matrix treffen: Im ersten Moment wirkt alles verblüffend komfortabel und greifbar. Doch dann ist da diese gewaltige, einschüchternde Leere, die jegliche Routine durchbricht und für absolute Unsicherheit sorgt. Das Gewöhnliche wird verzerrt. Auf einmal kann sich Wanda nicht mehr daran erinnern, wie sie Vision kennengelernt hat.

Wie die meisten Figuren einer Sitcom existiert sie als Ansammlung aus vorgefertigten Charaktereigenschaften und Erkennungsmerkmalen, bis sie von einer unscheinbaren Frage komplett aus der Bahn geworfen wird. Plötzlich bricht Wandas gesamtes Leben in sich zusammen, obwohl sie heimlich geahnt hat, dass irgendetwas nicht stimmt. Sie und Vision passen nicht in diese Welt und trotzdem befinden sie sich in ihr. Alles um sie herum bewegt sich zielstrebig nach vorne. Sie selbst besitzen aber nicht einmal eine Vergangenheit, auf die sie sich berufen können.

Wo WandaVision als Serie im vollen Bewusstsein über die Fernsehgeschichte beginnt, fehlt den Protagonist*innen jegliches Gefühl für das, was davor war. Ein Blick in die letzten zehn MCU-Jahre verrät, dass einiges passiert ist. WandaVision klammert jedoch sogar das verheerendste Ereignis der zentralen Beziehung aus: den eingangs erwähnten Tod. Abseits all der witzigen Passagen entpuppt sich der Serienauftakt als unerwartet trauriger und berührender Streifzug durch eine künstliche Welt, die von Aussenstehenden beobachtet und kontrolliert wird.

Richtig unheimlich gestaltet sich WandaVision in den Momenten, in denen die Wirklichkeit der Figuren aufgerissen wird und eine andere Realität zum Vorschein kommt. Im Bruchteil einer Sekunde tauscht Jac Schaeffer das unbeschwerte Sitcom-Feeling gegen die unbehagliche Atmosphäre eines Verschwörungsthrillers, der von geheimen Experimente und Grenzüberschreitungen erzählt. Wie ein MCU-Glitch fühlt sich WandaVision an. Etwas Merkwürdiges passiert, aber man kann es nicht greifen. Eine großartige Grundlage für die nächsten sieben Wochen.

Dieser Text basiert auf dem Eindruck der ersten zwei Episoden von WandaVision, die seit dem 15. Januar 2021 auf Disney+ verfügbar sind.

Beitragsbild: WandaVision © Disney+