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Spider-Man: Far From Home – Kritik

Nachdem in Avengers: Endgame die ersten drei Phasen des Marvel Cinematic Universe kulminierten, fungiert Spider-Man: Far From Home nicht nur als Fortsetzung von Spider-Man: Homecoming, sondern ebenfalls als Epilog der Infinity-Saga. Eine vielversprechende Prämisse: Auch wenn der Kampf gegen Oberbösewicht Thanos inzwischen Geschichte ist, haben die Figuren im MCU die grausamen Ereignisse der Vergangenheit nicht vergessen. Im Gegenteil: Die Opfer, die erbracht werden mussten, sind nach wie vor spürbar und haben ein großes Loch hinterlassen. Besonders der junge Peter Parker (Tom Holland) kämpft mit dem Verlust einer Vaterfigur: Tony Stark (Robert Downey Jr.).

Spider-Man: Far From Home schließt damit direkt an die vorherigen MCU-Ereignisse an und beschäftigt sich mit den Nachwehen von Avengers: Endgame. Eine logisch Entscheidung seitens der Drehbuchautoren Chris McKenna und Erik Sommers, die allerdings mehr als holprig umgesetzt wurde: Dem neuen Spidey-Abenteuer fehlt es an Eleganz in der Bewegung, Geschick in der Montage und Vertrauen in die eigene Geschichte. Kaum beginnt ein Moment, sich zu entfalten, da katapultiert uns der Schnitt in die nächste Szene. Rhythmus und Dynamik? Fehlanzeige. Dieser Film hetzt ausschließlich seinem eigenen Schatten hinterher.

Dabei ist diese Rastlosigkeit prinzipiell nicht fehl am Platz – immerhin befinden wir uns an einem Punkt in der großen MCU-Geschichte, an dem die Hälfte des Universums ausgelöscht und später im Zuge eines ausgeklügelten Time-Heists wieder zurückgebracht wurde. Dieser Umstand verunsichert die Menschen maximal und ist ebenfalls ausschlaggebend dafür, dass Peter Parker eine Verschnaufpause benötigt. Mit seiner Klasse will er nach Europa fahren. Die traumhaften Kulissen von Venedig, Prag und London sollen für Ablenkung sorgen – von einer Liebesgeständnis gegenüber MJ (Zendaya) auf der Spitze des Eifelturms ganz zu schweigen.

Bevor Peter jedoch sein Herz ausschütten kann, treten riesige Kreaturen in Erscheinung und sorgen für Unheil. Die sogenannten Elementals setzen sich wahlweise aus Feuer, Wasser, Luft und Erde zusammen und terrorisieren den europäischen Kontinent. Wäre da nicht Mysterio (Jake Gyllenhaal), der sich mit Nick Fury (Samuel L. Jackson) zusammengeschlossen hat – die Welt würde schlicht erneut untergehen. Doch allein kann der geheimnisvolle Superheld der Gefahr nicht mehr lange trotzen, was Spider-Man auf den Plan ruft. Peter ist hin- und hergerissen zwischen seinen Freunden und der großen Verantwortung, die aus seinen Fähigkeiten resultiert.

Klassische Coming-of-Age-Elemente im Zusammenspiel mit einem Superheldenfilm: Bereits Spider-Man: Homecoming versuchte sich an diesem reizvollen Balanceakt und schielte vor allem Richtung John Hughes, der zuletzt auch für das Power Rangers-Reboot Pate stand. Bei der Fortsetzung herrscht allerdings ein großes Durcheinander, zu groß sind die tonalen Sprünge zwischen einzelnen Sequenzen. Am besten funktioniert Spider-Man: Far From Home, wenn er sich auf die Klassenfahrt einlässt und Peters soziales Umfeld erforscht. Sobald jedoch der Helden-Plot in Kraft tritt, jongliert das Drehbuch nur noch mit großen Schlagworten, bringt aber zu keinem Zeitpunkt die erforderliche Tiefe mit.

Das ist insbesondere deswegen so ärgerlich, da sich der Film nach seiner ersten Stunde einmal komplett überschlägt und mit einem Twist für mehr Wirbel sorgt als alle Elementals zusammen. Überraschend ist dabei weniger, dass es eine unerwartete Wendung gibt, sondern vielmehr, wie drastisch diese alles zuvor Gesehene auf den Kopf stellt und hinterfragt. Nachdem das MCU durch Thanos bereits in seinen Grundfesten erschüttert wurde, strebt Spider-Man: Far From Home einen Dialog an, der sich mit den Folgen beschäftigt – und da kommt wieder die Unsicherheit der Menschen ins Spiel, die sich verzweifelt an die wenigen Dinge klammern, von deren Wahrhaftigkeit sie überzeugt sind.

Ein junger Superheld im digitalen Zeitalter, der mit Fake News und anderen Unwahrheiten kollidiert: Tief verborgen in Spider-Man: Far From Home verstecken sich extrem spannende Impulse, deren Potential aber nur in den wenigsten Augenblicken ausgeschöpft wird. Die meisten Argumente in der angestoßenen Diskussion um Macht, Vertrauen und Verantwortung werden schlicht in den Raum geworfen, danach allerdings nie mehr aufgegriffen. Spider-Man: Far From Home könnte eine mitreißende Momentaufnahme einer ins Wanken geratenen Welt sein, schlussendlich übernimmt allerdings eine Aneinanderreihung unausgegorener Gedanken die Erzählung, die lediglich von Michael Giacchinos temperamentvollem Score zusammengehalten wird.

Selbst in den wenigen Augenblicken, in denen Spider-Man: Far From Home über sich hinauswächst und uns einen Einblick gewährt, wie aufwühlend und mitreißend dieser Film sein könnte, scheitert die Unternehmung in puncto Inszenierung. Jon Watts, der bereits den ersten Teil als Regisseur verantwortete, ergibt sich völlig dem lustlosen House Style des MCU und lässt sogar die verheißungsvollen europäischen Schauplätze in nichtssagenden Aufnahmen verschwinden. Dieser Film wartet so sehnlichst darauf, endlich wachgerüttelt zu werden. Wenn dann aber Peter Parker – sprichwörtlich – der Boden unter den Füßen weggerissen wird, fehlen jegliche Gestaltungsideen. Frustrierend ist das gerade nach dem famosen Spider-Man: Into the Spider-Verse.

Hier kämpft Spider-Man: Far From Home mit einem ähnlichen Problem wie Doctor Strange und die Ant-Man-Filme: Sobald sich (filmische) Räume verschieben und neue Ebenen offenbaren, sollte ein furioser Bildersturm übernehmen, der die Möglichkeiten einer Comicverfilmung begeistert ausnutzt. Doch weder die Dimensionsportale, durch die Doctor Strange stürzt, noch der Quantum Realm, in dem sich Ant-Man verirrt, haben auf der großen Leinwand eine befriedigen Umsetzung erfahren. Es existiert immer nur das, was die Figuren sagen, aber nie eine Welt, die wir durch Bilder entdecken und erleben können. Spider-Man: Far From Home fehlt jegliche Vorstellungskraft.

Spider-Man: Far From Home © Sony Pictures