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Captain America: Civil War – Kritik

„Homecoming.“ Immer wieder fällt dieses Wort in Captain America: Civil War und wurde nicht zufällig erst vor ein paar Tagen als offizieller Zusatztitel des kommenden Spider-Man-Reboots gewählt. Heimkehr ist das Zurückkehren in die Heimat und setzt voraus, dass man sie verlassen hat. Etwas beruhigendes geht mit diesem Wort einher, ein Abschluss des Vorhergegangene oder zumindest eine Station, die einen Wendepunkt markiert. Auch wenn der erste Avenger, seines Zeichens geboren in den Mythen des Zweiten Weltkriegs, nach Hause zurückkehrt, ereignet sich ein jener Umbruch, der alles im Marvel Cinematic Universe verändert; ein Bürgerkrieg findet statt.

Die Heimkehr löst entgegen der friedlichen Annahme die verheerenden Katastrophe aus, die ein gesamtes Narrativ in Frage stellt – sprichwörtlich sogar, wenn das „Homecoming“ zur Aktivierung des gehirngewaschenen Winter Soldiers führt und die Welt nach 1991 nicht mehr die gleiche ist. Spätestens an diesem Punkt haben Joe und Anthony Russo, die nach Captain America: The Winter Soldier erneut die inszenatorischen Zügel eines MCU-Films in Händen halten, neben Steve Rogers (Chris Evans) und Bucky Barnes (Sebastian Stan) die dritte, entscheidende Hauptfigur des zentralen Konflikts etabliert: Tony Stark aka Iron Man (Robert Downey Jr.), jenem Superhelden, der vor acht Jahren das Tor zu einem gigantischen Filmuniversum öffnete, das noch nie so kraftvoll aus der eigenen Historie schöpfen konnte wie im Rahmen seines jüngsten Segments.

Wenngleich sowohl The Avengers nach Phase 1 als auch Avengers: Age of Ultron nach Phase 2 jeweils einen gewissen Höhepunkt im MCU markierten, ist es Captain America: Civil War, der das komplexe Geflecht aus einer beachtlichen Anzahl an Figuren und Storylines bisher am eindrucksvollsten zusammenführt, was im Umkehrschluss keinesfalls bedeutet, dass die Synergien zuvor schlecht genutzt wurden. Ganz im Gegenteil: War das Prinzip des MCU vor ein paar Jahren noch viel Theorie und Gedankenspielerei, befinden wir uns mittlerweile in einer Phase, in der die einzelnen Fixpunkte tatsächlich miteinander interagieren können, ohne sich auf das Feature eines netten Querverweis reduzieren lassen zu müssen – und das ist vor allem aufgrund der sorgfältigen Vorarbeit möglich, die insbesondere zum Schluss eines jede Solo- und Team-Abenteuers auf tatsächliche Konsequenzen beharrt.

Ein Reset des MCU kommt (noch) nicht in Frage, selbst wenn unabhängige Ausreißer wie Guardians of the Galaxy geschickt dafür sorgen, entsprechende Optionen offen zu halten. Wer sich jedoch die Avengers-Timeline im Lauf der Vergangenheit genauer zu Gemüte führt, wird feststellen, dass sich dank einer präzisen Auswahl an wegweisenden Schlüsselmomenten keine Figur mehr in ihrer Ausgangsposition befindet. Doch was passiert, wenn sich die Wege zu weit voneinander getrennt haben und eine Übereinkunft nicht mehr realistisch scheint?

Captain America: Civil War legt schon im Titel die Richtung fest. Ein Bürgerkrieg ist die Folge der Heimkehr, wenngleich zuvor auf dem Schlachtfeld noch ein gemeinsame Feind als einende Kraft fungierte. Jetzt haben sich die Dinge geändert – nicht, weil die Welt auf einmal grundlegend anders tickt, sondern weil sich eine jede Figur über den Verlauf mehrere Filme selbst im Spiegel betrachten konnte und die eigenen Fehler erkannt und womöglich aus ihnen gelernt hat. „You know I wouldn’t do this if I had any another choice. But he’s my friend.“, sagt Steve Rogers im niedergeschmetterten Ton, als er sich auf Seite seines Freundes, Bucky Barnes, schlägt und damit Tony Stark endgültig den Rücken zukehrt. „So was I.“, lautet etwas getroffen Antwort des sonst so selbstbewussten Genies, das stets einen angriffslustigen bis beleidigenden Konterspruch parat hat.

Ab diesem Moment ist jeder Faustschlag ein gleichermaßen brachialer wie emotionaler Akt, der zwei unbestreitbare Superhelden klein und zerbrechlichen wirken lässt. Klein und zerbrechlich, weil sie nicht mehr ihrem Ideal entsprechend und das große Bild vergessen haben – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Streitigkeit Resultat einer Manipulation, Resultat einer Inszenierung eines ebenso kleinen wie zerbrechlichen Mannes ist. Es braucht keine feindliche Alienrasse, um das Gute an seine eigenen Grenzen zu führen. Folglich ist Captain America: Civil War im Kern eine intime Geschichte über einfache Menschen, die erkennen, dass sie Teil von etwas Größerem sind, obgleich sie es nicht immer wollen.

Schnell werden aus Helden Vigilanten und generell stehen die großen Fragen des Superheldentums in Raum, wie sie zuletzt ebenfalls den Geschehnissen in Batman v Superman: Dawn of Justice den letztendlichen Anstoß zur Eskalation gaben. Gerade im ersten Akt scheint Captain America: Civil War akribisch bemüht, altbekannte Argumente dieses Streitfalls getarnt als Sokovia Accords fürs MCU zu adaptieren. Mit dem Fortgang der Ereignisse sieht das Autoren-Duo Christopher Markus und Stephen McFeely jedoch ein, dass an dieser Stelle kaum Neuland zu entdecken und die eigentliche Stärke ihrer Geschichte im reichen Schatz an Beziehungen liegt, die seit mehreren Jahren reifen. Dementsprechend bleibt das „Was?“ einmal mehr obligatorische Formsache und das „Wie?“ übernimmt die Dominanz im Erzählten.

Ein episches Aufeinandertreffen am Leipziger Flughafen, das erschreckend hässlich geraten ist, mag dabei selbstverständlich dem Spektakel frönen, bereitet aber auch unglaublichen Spaß in seiner verspielten Ausführung und zollt darüber hinaus hingebungsvoll der Herkunft aus unzähligen Comic-Panels Tribut. Gleichzeitig funktioniert die Kollision der Egos nur deswegen so ausgezeichnet, weil sie feinfühlig aufeinander abgestimmt und somit in den ruhigen Augenblicken zwischen dem aufziehenden Sturm am besten ist. Wo sich Batman, Superman und Wonder Woman im Finale erwähnten Superhelden-Blockbusters schließlich gegen einen austauschbaren Endgegner verbündeten, blieb dieser Umstand pure Behauptung lieblos aneinandergereihter Kampfsequenzen.

Im Fall von Captain America: Civil War ist die Gravitas der Konfrontation hingegen stets spürbar, weil sie tief in der Geschichte der jeweiligen Figuren verankert. Die Krux der Situation gestaltet sich in Form des Vorwissens, das endgültig zum essentiellen Baustein bei der Entschlüsselung des MCU geworden ist. Kein Bürgerkrieg entsteht aus dem Nichts; um die Situation zu verstehen, gilt es die Vergangenheit zu reflektierten – kein Wunder, dass Captain America: Civil War nicht nur auf metaphorischer Ebene zu den Geburtsstädten des titelgebenden Superhelden zurückkehrt, sondern sich tatsächlich zwischen den USA und Deutschland bewegt. Hier enthüllt das MCU sein bis dato tragischstes Kapitel, das – völlig unabhängig vom einem düsteren bis gut gelaunten Tonfall – Vertrautes auseinandernimmt und mit sich selbst konfrontiert.

Wenn etwa die nächste Superhelden-Generation in Form des jungen Peter Parkers (Tom Holland) auf der großen Leinwand erscheint, verschwimmen die Grenzen der zuvor verhärteten Fronten, denn jener Schuljunge aus Queens schwärmt gleichermaßen für Iron Man, Cap und den Typ mit dem Eisenarm. Vielleicht versucht Captain America: Civil War in diesem Moment in seiner herzzerreißenden Coolness den Abgrund zu verdecken, den der Film soeben aufgerissen hat. Vielleicht aber stellt genau dieser Balanceakt die große Faszination dieses „Homecomings“ dar, das mit atemberaubender Leichtigkeit die Stimmung wechselt und nie das Gespür für den brodelnden Konflikt verliert, der die Helden auf ihren getrennten Wegen wieder zusammenführt.

„We’re still friends, right?“„Depends on how hard you hit me.“

Captain America: Civil War © Walt Disney Studios Motion Pictures