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Dark Phoenix – Kritik

Ohne die X-Men sähe die Kinolandschaft heutzutage deutlich anders aus. Gemeinsam mit dem später folgenden Spider-Man-Filmen ebnete der erste Leinwandausflug der Mutanten rund um Wolverine, Professor X und Magneto den aktuell boomenden Comicverfilmungen den Weg ins moderne Blockbuster-Kino. So haben wir neben Christopher Nolens Dark Knight-Trilogie etwa den Aufstieg von gleich zwei riesigen Franchises erlebt: dem Marvel Cinematic Universe und dem DC Extended Universe. Während das MCU unter Disney nach wie vor unaufhaltsam die Kinokassen dominiert, sah sich die DC-Konkurrenz bei Warner in den vergangenen Jahren mit einigen Rückschlägen konfrontiert, wurde jedoch nie müde, ein eigenwilliges Kontrastprogramm zu liefern.

Die X-Men gehen in diesem Narrativ viel zu oft unter, obwohl auf Basis des ersten Teils bis dato elf weitere Filme aus dem gleichen Universum entstanden sind. Fortsetzungen, Prequels und Spin-off – sogar einem Soft-Reboot ist die Reihe unterlaufen, wenngleich dafür mitunter die (vermeintlich) makellose Kontinuität geopfert wurde, die von vielen Fans am MCU geschätzt wird. Dennoch waren die X-Men immer da in den vergangenen zwei Dekaden, haben bittere Niederlagen eingesteckt und bemerkenswerte Erfolge gefeiert. Vor allem aber haben sich die X-Men immer wieder neu erfunden und dabei einen erstaunlich langen Atem bewiesen. Auf dem Höhepunkt seiner Macht sollte das Franchise trotzdem auseinanderbrechen. Etwas unbeholfen versucht Dark Phoenix nun, die losen Fäden zusammenzubringen.

Während die Deadpool-Ableger an den Kinokassen kaum aufzuhalten waren und Logan in Form eines endzeitlichen Western bewies, wie dehnbar und konsequent das Superhelden-Kino trotz aller Wiederholungen und Neuauflagen noch sein kann, geriet die Hauptreihe der X-Men jüngst ins Stocken. Verantwortlich dafür waren viele verschiedene Gründe. Simon Kinberg, der das Franchise seit X-Men: The Last Stand als Drehbuchautor und seit X-Men: First Class als Produzent begleitetet, ist dennoch bemüht, ein letztes, abschließendes Kapitel ins Kino zu bringen. Dark Phoenix sollte die aus den Comics bekannte Storyline rund um Jean Grey endlich in angemessener Pracht auf die große Leinwand bringen, nachdem The Last Stand als Finale der ursprünglichen X-Men-Trilogie an diesem Punkt maßlos gescheitert war.

Schlussendlich ging die Produktion von Dark Phoenix aber alles andere als problemlos über die Bühne. Gleich mehrmals wurde der Kinostart verschoben, um große Teile des Films im Zuge von Reshoots neu zu drehen, während das Drehbuch umgeschrieben und angepasst wurde. Auch dem gleichzeitig in Auftrag gegebenen Spin-off New Mutants, das eine neue X-Men-Generation vorstellen sollten, war ein ähnlich unglückliches Schicksal bestimmt. Bis heute ist der Film nicht erschienen, obwohl er bereits im vergangenen Jahr in den Kinos hätte starten sollen. So findet sich Dark Phoenix in einer merkwürdigen Position wieder. Technisch gesehen ist er nicht der letzte X-Men-Film aus dem Hause Fox, ehe die Marke komplett in Disneys MCU eingegliedert wird. Trotzdem fungiert er als Abschluss der X-Men-Saga, wie wir sie bisher kennen.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf setzt Simon Kinberg zu Beginn des Films alles daran, um die große Themen der Reihe noch einmal Revue passieren zu lassen und alte Konflikte mit neuen Ängsten zu befeuern. Vieles wurde erreicht, gerade von Charles Xavier (James McAvoy), doch plötzlich droht die friedliche Welt, die er geschaffen hat, aufgrund verheerender Entscheidungen zusammenzubrechen. Der Kopf der X-Men wird infrage gestellt, in seinem Tun und Handeln. War er schon immer ein Meister präziser, sorgfältig gewählter Worte, werden ihm diese nun zum Verhängnis und er droht, im Angesicht seines eigenen Schattens unterzugehen. Die X-Men werden wieder als Bedrohung wahrgenommen, besonders nachdem Jean Grey (Sophie Turner) die Kontrolle über ihre Kräfte verliert – fraglos eine verheißungsvolle wie explosive Prämisse.

Bei einer Rettungsmission im Weltall ist die Mutantin mit einer Sonneneruption in Kontakt gekommen und hat die Energie dieser in sich aufgenommen. In Verbindung mit einem Trauma aus ihrer Kindheit entpuppt sich dieser Umstand als verhängnisvolle wie schicksalhafte Kombination. Dark Phoenix reißt die alten Wunden der Figuren auf, um das – zuletzt vereinte – Team wieder auseinanderzutreiben, ist dem dramaturgischen Gewicht dieser Entwicklung jedoch nur bedingt gewachsen. Trotz all der erstklassigen Schauspieler, die sich einmal mehr in einem X-Men-Film versammeln, liefert ihnen das Drehbuch zu wenige Momente, damit sie ihren Figuren die notwendige Tiefe verleihen und dem Abschlusscharakter von Dark Phoenix gerecht werden zu können.

So reihen sich vorzugsweise Variationen altbekannten Begegnungen aneinander, erfüllend ist das Geschehen aber bloß in den seltensten Augenblicken, was auch daran liegt, dass der erste Akt des Films der beste ist. Hier befinden sich die einzelnen Elemente noch im Einklang, bevor der Film zunehmend an Identität verliert, weil er hauptsächlich damit beschäftigt ist, seine Geschichte zu Hans Zimmers Pauken voranzutreiben. Die emotional zerreißende Kraft von John Ottmans X-Men: Apocalypse-Kompositionen fehlt hier komplett. Das letze große Set piece, ein rasender Zug, kann zumindest noch einmal mit furioser Bewegung punkten. Für ein überwältigendes Finale reicht es trotzdem nicht. Viel mehr fühlt sich Dark Phoenix wie eine kleine Episode in diesem riesigen Franchise an, die irgendwo zwischen zwei größeren Abenteuern steht.

Enttäuscht Dark Phoenix als finaler Paukenschlag, versteckt sich zumindest zwischen den Zeilen des ungelenken Drehbuchs einige berührende Momente, die nicht nur von den Schauspielern zehren, sondern ebenso davon, dass wir bestimmte Figuren nun schon einer ganzen Weile folgen. Michael Fassbenders Magneto gehört da etwa dazu, genauso wie Nicholas Hoults Biest, der bisher zwar eher der zweiten Reihe angehörte, gerade im Zusammenspiel mit James McAvoy durchaus ein Gefühl für die am Kliff der Realität zerschellenden Träume und Visionen herüberbringt. Auch Jennifer Lawrence hält das Team mit ihrer Mystique zusammen, während Sophie Turner Jean Greys Zerrissenheit intensiv auf die Leinwand bannt. Die erschütternde Endgültigkeit, mit der sich Logan von Wolverine verabschiedet, erreicht Dark Phoenix trotzdem nie.

Dark Phoenix © 20th Century Fox