Nach den radikalen Umbrüchen in Star Wars: The Last Jedi folgt aus der weit, weit entfernten Galaxis ein Film, der in seiner Prämisse alles andere als furchtlos und mutig wirkt. Solo: A Star Wars Story erzählt die Geschichte des jungen Han Solo und gleicht damit auf den ersten Blick dem wohl uninspiriertesten Einfall, um George Lucas’ Sternensaga mit einem weiteren Anthologiefilm auszubauen. Bereits Rogue One: A Star Wars Story, seines Zeichens der erste Kinofilm des Franchise, der nicht Teil der Skywalker-Storyline war, konnte sich nur bedingt von der Hauptreihe lösen und mündete schlussendlich sogar unmittelbar in der ikonischen Eröffnungssequenz von Krieg der Sterne. Dennoch vermochte Regisseur Gareth Edwards seinem kleinen Exkurs eine eigene Identität und Handschrift zu verleihen, die das Star Wars-Universum zweifelsohne um spannende Facetten und ambivalente Seiten erweiterte. Entgegen aller Zweifel, die nicht zuletzt aus der turbulenten Produktionsgeschichte resultieren, gelingt auch Solo: A Star Wars Story dieses Manöver mit Bravour.
Nachdem die ursprünglichen Regisseure Phil Lord und Christopher Miller, die zuvor neben dem fantastischen 21 Jump Street-Reboot ebenso den bemerkenswert einfallsreichen The Lego Movie verantworteten, erreichte Star Wars-Fans rund um den Globus im Sommer vergangenen Jahres die Hiobsbotschaft von deren Entlassung durch Lucasfilm. Kreative Differenzen haben Solo: A Star Wars Story vom Kurs abgebracht und die schlimmsten Befürchtungen wahr werden lassen. Um den neusten Star Wars-Film trotzdem pünktlich zum Kinostart fertigzustellen, wurde Altmeister Ron Howard engagiert, dessen Karriere in ihrem Verlauf gleich mehrere Berührungspunkte mit Lucasfilm aufweist, etwa durch den Fantasyfilm Willow sowie ein Auftritt als Schauspieler in American Graffiti, der von George Lucas höchstpersönlich inszeniert wurde. Rückblickend fällt es nun schwer, die einzelnen Bestandteile von Solo: A Star Wars Story den entsprechenden Regisseuren zuzuordnen, wenngleich davon auszugehen ist, dass Ron Howard große Teile des Films neu gedreht hat. Vom Drehbuch wird er dennoch zusammengehalten.
Lawrence Kasdan, der zuletzt bei Star Wars: The Force Awakens an einem Star Wars-Skript beteiligt war und weiterhin als Drehbuchautor von The Empire Strikes Back und Return of the Jedi zu den wenigen Verbliebenen der ersten Stunde gehört, entwickelte gemeinsam mit seinem Sohn Jonathan Kasdan eine Geschichte, die den Charakter Han Solo (Alden Ehrenreich) erforschen will, bevor er sich in den zynischen Schuft verwandelt, als der er von Harrison Ford verkörpert wurde. Dabei ist die Versuchung natürlich groß, dem Fanservice zu verfallen und sagenumwobene Elemente, die mit dem Mythos der Figur einhergehen, endlich mit konkreten Bildern auf der großen Leinwand zu illustrieren. Solo: A Star Wars Story stellt sich gerade im Hinblick darauf geschickt an, in entscheidenden Momenten die Erwartungen zu unterwandern, wenngleich die Verwendung bestimmter Keywords nicht zu verhindern ist. Der Kessel Run sowie jene legendäre Sabacc-Runde sind selbstredend ein fester Bestandteil der dieser kurzweiligen wie aufregenden Origin-Story.
Von der unerschrockenen Dekonstruktion des eingangs erwähnten The Last Jedi ist Solo: A Star Wars Story trotzdem noch weit entfernt. Dafür verblüfft der Film mit seiner sprudelnden Begeisterung für Geschwindigkeit und Abenteuer, während er gleichzeitig seine eigenen Akzente mal mehr, mal weniger offensichtlich ins wilde Treiben schmuggelt. Das erste Aufeinandertreffen von Han und Chewbacca (Joonas Suotamo) rebelliert etwa gleich im ersten Akt gegen die bisherige Überlieferung aus dem ehemaligen Expanded Universe, das inzwischen als Star Wars Legends geläufig und nicht mehr Teil des Kanons ist. Han und Chewie lernen sich zwar weiterhin unter unglückliche Umständen kennen, begegnen sich dabei jedoch auf einer Augenhöhe und formen somit somit eine aufrechte Freundschaft, die frei von jeglichem Gefälle ist. Generell hat Solo: A Star Wars Story seine Figuren sehr gut im Griff, insbesondere der unverschämt lässig von Donald Glover gespielte Lando Carlissian haucht Solo: A Star Wars Story Leben und Charme ein.
Alden Ehreneich, der nach Hail, Caesar! und dem zu Unrecht übersehenen Rules Don’t Apply, eine denkbare schwere Aufgabe vollbringt, in Harrison Fords Fußstapfen zu treten, liefert ebenfalls eine faszinierende Darbietung ab, die den jungen Han Solo irgendwo zwischen überheblichem Leichtsinn und der Naivität eines unerprobten Helden einordnet. Immer wieder muss er sich in seinem eigenen Film in den Vordergrund spielen, was eine merkwürdige, aber durchaus passende Dynamik mit sich bringt. Entgegen der stets unbeeindruckten Einstellung seiner älteren Version rennt Han zu Beginn von Solo: A Star Wars Story den anderen hinterher, um einen Ausweg aus seiner misslichen Situation zu finden. Unterdrückung spielt in diesem Zuge – wie auch in späteren Teilen des Films auch – eine entscheidende Rolle. Zuerst wäre da Qi’Ra (Emilia Clarke), mit der ihn nicht nur romantische Gefühle verbinden, sondern ebenfalls der Traum nach einem Entkommen aus der einleitenden Hölle des Industrieplasten Corellia, der förmlich im ewigen Grau zu ersticken droht.
Danach sind es der Schlamm und Dreck, die ihm als imperialer Soldat auf dem Dschungelplaneten Mimban um die Ohren fliegt und erneut zur Flucht bewegen – dieses Mal von Form von der gerissenen Mentorenfigur Tobias Beckett (Woody Harrelson). Mit jeder Geste, die einem Freiheitsschlag gleichkommt, meldet sich in Solo: A Star Wars Story aber auch die Unterdrückung mit erschreckender Verlässlichkeit zurück, sei es durch das aufsteigende Imperium oder einen Gangsterboss wie Dryden Vos (Paul Bettany), der sich seiner einflussreichen Position überaus bewusst ist und auf unangenehme Weise Gebrauch davon macht. Solo: A Star Wars Story erzählt von einer Galaxis, die sich im Umbruch befindet – sprichwörtlich, wenn über Corellia überlebensgroß ein Sternzerstörer ragt, der vor dem Hintergrund eines unheilvoll verdunkelten Horizonts montiert wird – und keine sicheren Orte mehr bietet. Werte zählen hier nichts mehr, stattdessen wird mit allem gehandelt, was möglich ist. Auch Vertrauen entpuppt sich als tauschbare Wahre und schließt einen gewissen Missbrauch ein.
Solo: A Star Wars Story spielt in dieser Hinsicht sämtliche Eigenschaften siner düsteren Themen aus und verweilt am liebsten in einer temporeichen Mischung aus Heist-Film, Western und Film noir. Während John Powells musikalischer Unterbau, der ebenfalls von John Williams’ klassischen Motiven sowie einem neuen Han Solo-Thema profitiert, das der Großmeister höchstpersönlich beigetragen hat, auf rhythmische Bewegungen angereichert mit Perkussion setzt, zehrt Solo: A Star Wars Story vor allem von Bradford Youngs Kameraarbeit. In Filmen wie Ain’t Them Bodies Saints, A Most Violent Year und Arrival konnte er bereits erhabene Bilderwelten schaffen. Auch der Weltraum mit seinen entlegenen Winkeln und fremden Planeten bietet ihm die perfekte Grundlage um erneut einnehmende Kompositionen zu entwerfen, die eine raue, mitunter verzweifelte Atmosphäre transportieren und fortwährend eine größere Welt erahnen lassen. Sorgfältig gewählte Aufnahmen spielen mit Licht und Schatten, erinnern minimal an die Ästhetik von Rogue One, entfalten letztlich aber ihren eigenen Look, sodass sich Solo: A Star Wars Story eindeutig identifizieren lässt.
Dann erscheint plötzlich ein Wookiee, ehe ein Weltraummonster für Angst und Schrecken sorgt, während sich die Figuren durch gewohnt detaillierte Kulissen mitsamt hinreißend designter Kreaturen schlängeln und beständig versuchen, aller unvorhergesehenen Ereignisse zu Trotz die Überhand zu wahren. Solo: A Star Wars Story strotzt vor Niederlagen und steuert auf einen gewaltigen Bruch zu, der zunehmend den Spaß des Abenteuers vergessen lässt und in der drohenden Gefahr seine größte Stärke entdeckt. Wenn Han mit seinem Speeder durch die trostlosen Straßen von Corellia rast und Kessels giftig-gelblich-braunen Mienen die schlammigen Gräben von Mimban ablösen kreiert Solo: A Star Wars Story seinen eigenen Vibe, der zudem ungeahnt zwischen der Original-Trilogie und den Prequels schwankt. Es folgt ein dreckiger Farbensturm, der sich mit der bläuliche Frische eines im Grunde mehr als vertrauten Gefährts wie dem Millennium Falcon schneidet, von gleich mehreren (!) Liebesgeschichten ganz zu schweigen, die Solo: A Star Wars Story irgendwo auch in einen hoffnungslos romantischen Film verwandeln.
Solo: A Star Wars Story © Walt Disney Studios Motion Pictures
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